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goldie
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Re: Zurück auf Gateway

Beitrag von goldie » 03.01.2021 13:03

"Sieh einmal genau hin ", sagte Ysanne. Weiterhin betrachtete sie die Blumen. Sieh ließ Stille entstehen, um zu sehen, ob Enric den Impuls hatte sie zu füllen.

Anne
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Re: Zurück auf Gateway

Beitrag von Anne » 03.01.2021 13:10

Er schaute sich alles genau an, versuchte jedes Detail zu erfassen und zu erkennen, was auch immer er da sehen sollte. Ysanne schwieg. Eine Minute verging, eine zweite, eine dritte... Und noch immer sagte sie nichts. Enric schaute etwas irritiert zu ihr hinüber. "Ich habe mir jetzt alles ganz genau angesehen." Um zu beweisen, dass er die Aufgabe erfüllt hatte, benannte er einige Pflanzenarten, die er zuordnen konnte und berichtete Ysanne aus dem Gedächtnis, wo welche Pflanze gestanden hatte und wie sie wuchs. Außerdem fuhr er fort, sich über Insektenarten, das Bewässerungssystem und die Vögel im Garten auszulassen.

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goldie
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Re: Zurück auf Gateway

Beitrag von goldie » 04.01.2021 19:10

Ysanne nickte bedächtig. Es war nicht zu ergründen, ob sie in irgendeiner Weise beeindruckt von Enrics Beobachtungen war. Sie schaute zu ihm. "Wie hast du heute den Tag verbracht?"

"Ich habe ein 3-Gänge-Menü für meine Mitbewohner und mich gekocht, unsere Wohnung gründlich sauber gemacht und aufgeräumt und das Beste ist, dass ich endlich mal wieder Zeit hatte, an meiner Doktorarbeit über die Tal She zu schreiben. Na ja, noch ist es natürlich keine. Aber falls ich jemals wieder zurück nach Hause komme, werde ich das schon schaffen, jemanden zu finden, der das betreut und meinen wissenschaftlichen Werdegang fördert. Aber ich kann ja schon mal anfangen", berichtete er stolz. Er schien nur auf diese Frage gewartet zu haben.

Die Jedi Ritterin erhob sich. "Gehen wir ein Stück." Wieder sagte sie nichts, sondern führte Enric durch den Garten. Schließlich steuerte sie auf einen kleinen Pavillon zu, den Endrik als einen der vielen Meditationsgelegenheiten erkannte. Von innen hatte man einen guten Blick auf den Garten, doch die Scheiben waren so verspiegelt, dass man nicht von außen hineinsehen konnte. Bis auf einige Meditationskissen war der Pavillon leer. Die beiden setzten sich. "Du hast mir gestern von dem Trandoshaner erzählt. Wie geht es dir heute damit? "

Enric fand es etwas merkwürdig, dass Ysanne zu nichts von dem etwas sagte, was er gesprochen hatte und hoffte, dass es nicht daran lag, dass sie ihn nun für seine Tat verachtete. Er folgte ihr und nahm auf einem Kissen Platz. Auf die Frage antwortete er: "Ich verstehe, dass ich einen Fehler gemacht habe und möchte von nun an noch bedachter und vorsichtiger sein, wenn es um das Leben von Anderen geht. Ich hätte das nicht so leichtfertig tun sollen, das weiß ich. Dennoch denke ich, dass ich dem Trandoshaner eine Art Gefallen getan habe, ihn aus seiner erbarmungswürdigen Existenz zu befreien. Er war ein willenloser Sklave, gefangen und gezwungen zu tun, was immer man ihm aufträgt. Das wäre er bis zum Ende seines Lebens geblieben. Ich habe diesem stolzen Trandoshaner ein Ende in Würde und Freiheit gegeben. Mir selbst wäre es lieber zu sterben, als diesen Tal She bis zum Ende meines Lebens zu gehören und ihnen dienen zu müssen."

"Ich sehe, du hast die Zeit genutzt, um dir Gedanken zu diesem Thema zu machen. Aber heute ist nicht der Tag, darüber zu urteilen, was daran richtig oder falsch war. Wie geht es dir mit den Ereignissen von gestern? Was fühlst du?"
Dies war das erste Mal heute, das Ysanne auf das, was Enric sagte, einging. Ihre Mimik war weich und offen. Mit ihrer Körpersprache ließ sie nach wie vor nicht erkennen, was sie über Enrics Tat dachte.

Enric blickte an Ysanne vorbei. "Es gibt keine Gefühle. Frieden gibt es", antwortete er.

Ysanne seufzte leise. "Leider wird der Kodex immer wieder fehlinterpretiert." Sie schaute ihn mit weicher Miene an: "Enric, du hast gestern das erste Mal in deinem Leben jemanden getötet. Du warst gestern völlig durcheinander und voller Schuldgefühle. Ich frage dich nicht, wie es dir geht, damit du mir den Kodex zitierst. Ja, es ist das Ziel, die Gefühle loszulassen und in Frieden zu sein. Das heißt aber nicht, die Gefühle wegzuleugnen. Wenn du bereits so weit wärst, Gefühle loslassen zu können, dann wärst du gestern nicht zu mir gekommen." Ysanne machte ein Pause und betrachtete ihn. Dann fuhr sie fort.
"Ich kann dir helfen, Frieden damit zu schließen. Doch das geht nur, wenn du aufrichtig zu mir bist. Wie geht es dir wirklich?" Die Jediritterin schien aufrichtig daran interessiert zu sein, dem jungen Mann zu helfen.

Enric hörte in sich hinein. Er ging die Situation im Geiste noch einmal durch - wie er abgedrückt hatte, wie er die Leiche aufgefunden hatte, wie er schließlich seinen eigenen Blaster aus der Hand der Leiche genommen hatte...
Und er fühlte dabei nichts. Er hatte sich den ganzen Tag so intensiv abgelenkt und jede aufkommende Empfindung dazu so gründlich beiseite geschoben, dass er jeden Bezug zu seiner Tat verloren hatte. Alles, was er dazu gefühlt hatte, hatte er tief in sich vergraben.
"Ich empfinde nichts", antwortete Enric wahrheitsgemäß. "Es fühlt sich an, als wäre es jemand anderem passiert und nicht mir. Es ist alles so... weit weg."

Ysanne betrachtete ihren Schüler nachdenklich. "In Ordnung. Geht es dir ähnlich, wenn du an andere einschneidende Ereignisse denkst, also dass du nichts empfindest? Du brauchst mir keine Details zu erzählen, aber wie geht es dir zum Beispiel im Moment mit der Trennung von Jolene?"

"Es geht mir auch bei anderen Ereignissen aus meinem Leben so. Zum Beispiel..." Er dachte an die Monate, die er beim Kreis der wahren Macht verbracht hatte, aber dann konnte er doch nicht darüber sprechen. Er hatte bisher nur Jolene davon erzählt. "... zum Beispiel bei schrecklichen Dingen aus meiner Vergangenheit. Bei der Trennung von Jolene ist es nicht so. Ich fühle schon noch etwas, aber ich beschäftige mich nicht damit, wenn ich es vermeiden kann. Logisch betrachtet ist es besser so, dass ich mich von ihr getrennt habe. Syron hat mich immer vor ihr gewarnt und er hatte Recht." Nun war ihm die Enttäuschung allzu deutlich ins Gesicht geschrieben.

"Es sieht für mich so aus, als wärst du sehr enttäuscht von Jolene. Und du sagst bei schrecklichen Dingen aus deiner Vergangenheit fühlst du nichts? Ich möchte mal etwas ausprobieren, in Ordnung? Wir hatten gestern über die Schuldgefühle gesprochen, als du den Trandoshaner erschossen hast. Behalte das im Hinterkopf. Jetzt stelle ich dir einige Fragen. Nicht nachdenken, einfach sofort antworten mit dem ersten, was dir in den Sinn kommt. Es geht nicht um richtig oder falsch." Als Enric zustimmte, begann Ysanne sehr einfache Fragen zu stellen. "Was ist zwei plus zwei? Wann hast du Geburtstag? Welche Farbe hat Schnee?" Sie stellte so lange weiter ähnliche Fragen, bis sie sicher war, dass Enric intuitiv antwortete. Dann fragte sie: "Die Schuldgefühle: in dir oder außerhalb?"

"Beides", antwortete Enric spontan.

"Wie meinst du das?" Sollte Enric nun den Anschein machen nachdenken zu wollen, würde sie hinzufügen: "Spontan antworten! "

"In mir, weil ich aufgrund von Fahrlässigkeit jemanden umgebracht habe. Das hätte nicht passieren dürfen. Ich wollte so nie sein und jetzt habe ich vielleicht den ersten Mord auf diesem friedlichen Planeten überhaupt begangen. Und außerhalb weil ich niemanden davon erzählen kann, ohne dass sie mich für einen scheinheiligen Heuchler halten werden. Und auch du hältst wohl jetzt nicht mehr viel von mir. Wie soll ich außerdem jemals meinen Eltern wieder unter die Augen treten? Es würde ihnen nur wehtun, wenn sie wüssten, dass ihr Sohn ein Mörder ist."
Er hatte die Worte recht schnell gesprochen und wandte sich mit jedem Satz mehr seinen Empfindungen zu, die er eigentlich hatte verdrängen wollen.

Ysanne hörte aufmerksam und wohlwollend zu. "Du hast jemanden getötet, daran gibt es nichts schönzureden. Du hast eine Erklärung, die das rechtfertigt oder eben nicht. Kein Gericht wird dich dafür verurteilen und wie es aussieht, hast du keine Konsequenzen von den anderen Tal She zu erwarten.
Du bist nicht der erste, der ins Straucheln gerät. Vor langer Zeit hätte ich fast Koi erschossen. Ich war einer Illusion aufgesessen. Hätte ich getroffen, hätte ich einen guten Freund getötet. Wer bin ich also, als dass ich über dich urteile?
Doch es ist erstmal nebenrangig, was ich oder andere über dich denken. Es ist wichtig, was gerade in dir vorgeht. Auch wenn du es vielleicht gerade nicht spüren kannst: welches Gefühl würde deinen inneren Zustand am ehesten beschreiben?"

Er überlegte. Und überlegte. Und sagte dann plötzlich: "Wozu ist das denn wichtig? Ich habe kein Problem damit, es nicht zu fühlen. Ich spüre den Schmerz, den mir das bereitet genauso gut hier!" Enric schob seinen Ärmel hoch. Darunter kam eine Wunde zum Vorschein, die der Trandoshaner ihm zugefügt hatte, als er ihm seinen Blaster abgenommen hatte. Er hatte sie selbst nur gesäubert, damit sie sich nicht entzündete. Aber behandelt hatte er sie nicht.

Ysanne schaute auf die Wunde. "Das stammt von dem Trandoshaner, nehme ich an?" Nach Enrics Antwort fuhr sie fort. "Als Archäologe bist du mit Gasblasen unter der Erde vertraut", stellte sie in den Raum. "Es ist unsichtbar und geruchlos und du spürst es nicht. Doch schon ein winziger Funke genügt, um einen Berg einstürzen zu lassen. Mit deinem Schmerz verhält es sich ganz genauso. Er sammelt sich in dir, doch du spürst es nicht. Und eines Tages könnte er bei einem unverhofften Funken explodieren. Wir Machtnutzer haben hier eine besondere Verantwortung. Wir dürfen es nicht zur Explosion kommen lassen."

Hm, sein Ablenkungsversuch war wohl nicht besonders erfolgreich verlaufen. Er saß einen Moment resigniert da, dann antwortete er: "Ich war aufgewühlt. Voller Reue. Wütend. Beschämt. Ich habe mich von den anderen Tal She hereingelegt gefühlt. Und gleichzeitig war ich erleichtert, dass er mir nicht entkommen ist und deshalb Schlimmeres verhindert wurde."

"Danke, dass du diese Gefühle mit mir teilst. Du redest in der Vergangenheit, ich nehme an, weil du es jetzt nicht mehr spürst? Ich gehe davon aus, dass es 'Grubengasgefühle' sind, die du in dir eingeschlossen hast, damit sie dir nicht wehtun. Klingt das für dich nachvollziehbar? Ich würde dir gern beibringen, wie du diese Gefühle gehen lässt. Das würde verhindern, dass sie eines Tages explodieren und dich oder andere verletzen."

Enric dachte daran, dass er einen eigenen Weg kannte, solche Gefühle auch gehen zu lassen. Er ließ sie in das Kor fließen, wenn er es gebrauchte, sodass die Macht seiner Emotionen zu Stärke wurde. Aber das konnte er ja Ysanne schlecht erzählen, ohne dass sie ihn rauswarf. Zudem funktionierte die Methode auch nicht immer als Bewältigungsstrategie.
"Ja, in Ordnung. Bring es mir bitte bei", sagte er. Er wollte es tatsächlich lernen. Was die Jedi da sagte, klang vernünftig.

Ysanne nickte. "Schließ die Augen, ich werde dich führen. Du brauchst mir nicht zu antworten, fühle die Antworten in deinem Inneren." Sie wartete, bis er ihren Anweisungen folgte. Dann führte sie ihn in eine Trance, wie er es auch unzählige Male bereits bei anderen Lehrern erlebt hatte. Sein Körper saß still und gab damit Gedanken und Gefühlen Raum empor zu steigen. Oftmals waren Meditationen nicht darüber hinaus gegangen. Doch für Ysanne war das nur der Einstieg.
"Konzentriere dich nun auf das Gefühl, das dich am stärksten belastet." Nach jeder ihre Anweisungen oder Fragen machte sie nun eine Pause, damit Enric in seinem Inneren darauf antworten konnte.
"Wo in deinem Körper spürst du dieses Gefühl? … Und nun lass dieses Gefühl aus dir heraus fließen und vor deinem inneren Auge erscheinen. Welche Farbe hat dieses Gefühl?... Welche Form hat dieses Gefühl?... Wie groß ist es?... Welches Material hat dieses Gefühl?... Gibt es Geräusche oder Töne von sich?... Welchen Geruch oder Geschmack hat es? ... Bewegt es sich, und wenn ja welche Richtung hat es? … "
Sie gab Enric etwas Zeit, um sich in die Antworten einzufühlen. "Beschreibe mir nun, was vor dir entstanden ist und welches Gefühl du gewählt hast."

Enric versuchte, an der Übung teilzunehmen und alles zu befolgen, was Ysanne sagte. Dann kamen ihre Fragen. Welchen Gefühl ihn am meisten belastete? Meinte sie diesem Augenblick? Dann war es das unangenehme Gefühl diese Frau vor ihm, die sich so viel Mühe mit ihm gab, hintergangen zu haben als er sich auf Darth Malgus eingelassen hatte. Bezogen auf seine Tat? Dann war es Reue. Oder ganz generell? Das war schwierig. Vielleicht das Gefühl, irgendwie verloren zu sein? Er überlegte, wofür er sich entschieden sollte und beschloss dann, bei dem konkreten Fall zu bleiben. Reue also.
Wo spürte er das Gefühl? Im Moment nirgendwo. Bis auf das Brennen an seinem Arm war da nichts. Hm, was war denn mit herausfließen lassen gemeint? Farbe? Form? Material? Und sogar Geschmack? Er konnte damit nichts anfangen. Enric war nicht in der Lage, dieser unbestimmten, unterdrückten Emotion so abstrakte Eigenschaften zuzuordnen. Er dachte viel zu sehr darüber nach, ging zu sehr mit Logik an die Aufgabe heran und verlor sich schließlich in Details. Er war ziemlich überfordert. Noch nie hatte er sich seine verborgenen Emotionen überhaupt angeschaut und nun sollte er sich gleich irgendwelche Eigenschaften für sie ausdenken, die sie ja tatsächlich gar nicht haben konnten. Ihm wurde immer unwohler, sein innerer Widerstand wuchs. Als Ysanne ihre letzte Frage gestellt hatte, sagte er: "Ich empfinde Reue wegen meiner Tat. Aber darüber hinaus möchte ich nicht mit dir teilen, was ich gesehen habe. Es tut mir leid. Das ist etwas, das mir zu persönlich ist und nur mich selbst etwas angeht. Ich danke dir in jedem Fall dafür, dass du dir nun schon zwei Abende für mich Zeit genommen hast. Das war sehr hilfreich für mich und ich werde diese Übung allein noch oft wiederholen. Dennoch werde ich deine kostbare Zeit nun nicht weiter in Anspruch nehmen. Du hast dich schließlich um viele Leute hier zu kümmern und ich kann dich nicht so sehr für mich einnehmen." Er erhob sich. "Vielen Dank noch einmal...", sagte er noch. Dann machte er sich daran zu gehen.

"Enric. Setz dich wieder." Ihre Stimme war freundlich, doch ihr wohnte eine natürliche Autorität inne, die sich bereits in ihrem Rang als Captain der Army ausgebildet hatte. Die Zeit als Jediritterin und Leiterin des Praxeums hatte diese Eigenschaft weiter verstärkt.

Widerwillig gehorchte er und nahm auf dem Kissen Platz. Enric schaute in Richtung des Gartens. Er wollte hier einfach nur weg. Ysanne nach Rat zu fragen war ein Fehler gewesen, fand er und hoffte, es schnell hinter sich bringen zu können.

Der Widerwille war für Ysanne unübersehbar. Schon während der Übung hatte sie den Eindruck gehabt, dass ihrem Schüler die Aufgabe schwer fiel. Doch sie hatte gehofft, dass sie mit dem weiter arbeiten könnte, was Enric ihr anbot. Dass er hier blockte, zeigte ihr, dass er noch ganz am Anfang stand.
"Diese Übung scheint etwas tief in dir berührt zu haben. Es ist in Ordnung, wenn du nicht mit mir teilen willst, was du gesehen hast. Doch bisher kannst du keinerlei Nutzen aus dieser Meditationstechnik gezogen haben, denn sie war noch nicht zu Ende. Ich sehe, dass es dir nicht gutgeht, auch wenn du es selbst vielleicht annimmst."

"Na gut, dann sag mir bitte noch wie der Rest der Übung funktioniert. Ich wusste nicht, dass sie noch nicht beendet war."
Er blickte Ysanne an und wartete darauf, dass sie die Übung fortsetzen würde.

"Es ist genug für heute. Du bist nicht mehr in Trance, das Gefühl ist zu privat und du möchtest nicht darüber reden. Deswegen ist ein Fortsetzen der Übung nicht möglich. Wir treffen uns morgen Abend. Hier, um die gleiche Zeit wie heute. Deine Hausaufgabe: spüre morgen in dich hinein. Ich möchte, dass du dir ein Gefühl aussuchst, das dich beschäftigt, das aber nicht sehr gravierend ist. Eines, das nicht so privat ist, wie das von heute und von dem du den Eindruck hast, mit mir darüber reden zu können. Hast du dazu Fragen?"

Enric überlegte, wie er das Treffen vermeiden konnte. Er wollte seinen Alltag zurück. "Also Ysanne...", begann er und kam sich reichlich merkwürdig dabei vor. "Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist. Die Leute im Praxeum wissen, dass ich nicht mehr mit Jolene zusammen bin. Sie haben es sich zusammenreimen können, weil sie nicht mehr in meinen Unterricht kommt. Und nun fange ich ganz plötzlich an, dich jeden Abend allein aufzusuchen? Ich möchte nicht, dass es Gerüchte gibt. Schon um deinetwillen sollten wir Gerede vermeiden, egal ob es haltlos ist oder nicht..." Er hatte versucht, die Worte möglichst selbstsicher auszusprechen, aber nun wo er es gesagt hatte, hatte er doch etwas Angst, dass Ysanne ihn auslachen würde.

Du willst meine kostbare Zeit nicht zu sehr in Anspruch nehmen. Du willst um meinetwillen Gerede vermeiden…" Kurz ließ sie die Worte auf ihn wirken und fuhr dann dort.
"Es wird dir nicht gelingen, mir Dinge einzureden, von denen du glaubst, dass sie zutreffen könnten oder sie mich umstimmen. Ich bin dir nicht böse deswegen. Du hast schlimme Dinge erlebt und es ist eine natürliche Reaktion davor zu fliehen. Denn es tut weh, sich mit so etwas zu beschäftigen." Wieder machte sie eine Pause und beobachtete seine Reaktion. Ernst sprach sie weiter.
"Du bist gestern zu mir gekommen, weil dich etwas im Tiefsten aufgewühlt hat. Es ist noch immer da, wird weiter vor sich hingären und irgendwann explodieren. Du bist Schüler hier im Praxeum und es ist meine Verantwortung das zu verhindern. Wir werden ganz sachte anfangen, nicht mit den Ereignissen, die so schmerzhaft für dich waren. Du darfst bremsen, wenn es dir zu schnell geht oder zu viel wird. Doch wir werden nicht anhalten."

Enric senkte den Blick. "In Ordnung", murmelte er. "Dann also morgen um dieselbe Zeit wieder hier? Und darf ich bis dahin meinen Pflichten hier wieder nachkommen?"

"Das darfst du. Die Pause heute sollte dir die Gelegenheit geben, dir deiner Gefühle besser bewusst zu werden. Nach heute Abend habe ich den Eindruck, dass das besser unter Anleitung geschehen sollte. Sollte es dir heute Nacht oder morgen schlechter gehen, komm bitte direkt zu mir. Egal, wie spät es ist. Das ist kein Kampf, den du alleine ausfechten musst."

Er nickte. Offenbar hielt Ysanne ihn für jemanden, der besondere Betreuung brauchte. Jemand, der nicht zurecht kam. Dabei würde er so gut funktionieren, wenn nicht jeder hier der Meinung wäre, immer wieder irgendwelche alten Wunden aufreißen zu müssen. Mit seinen Erlebnissen, die etwas weiter zurück lagen wollte er sich auf keinen Fall beschäftigen. Aber vielleicht würde es sich tatsächlich lohnen, sich die Gefühle nochmal anzutun, die im Zusammenhang mit diesem Mord standen.
"Danke Ysanne. Es tut mir leid, dass ich dir so viel Mühe mache. Die anderen... Sie kommen einfach mit allem zurecht. Ich verstehe das nicht, warum ich mich so anstelle."

"Du triffst sehr viele Annahmen und denkst, sie entsprechen der Realität. Dass du mir Mühe machst. Dass die anderen mit allem zurechtkommen. Mir ist heute mehrfach aufgefallen, dass du gewisse Vorstellungen hast, was die Leute über dich denken. Was sagt der Wissenschaftler in dir über Annahmen?"

"Sie sind solange nichts weiter als Hypothesen, bis man sie verifiziert hat", antwortete Enric.

Ysanne nickte. "Erinnere dich daran, wenn du das nächste Mal Vermutungen anstellst, was andere Leute denken." Die Jediritterin erhob sich. "Die Stunde für heute ist beendet. Wir sehen uns morgen."

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goldie
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Re: Zurück auf Gateway

Beitrag von goldie » 04.01.2021 19:11

Enric hatte noch einige Tage lang große Schwierigkeiten damit, Ysannes Übung auszuführen. Er konnte sich nichts darunter vorstellen, was sie meinte und schaffte es nicht, seine inneren Barrieren zu überwinden. Als er mehr oder weniger frustriert von einem dieser Abende zurückgekommen war, beschloss er sich ein wenig Zeit für Koi und dessen Seelenfrieden zu nehmen. Die beiden unterhielten sich und tranken Wein. Es war deutlich mehr als Enric normalerweise gewohnt war. Als er schließlich auf sein Zimmer ging, nahm er sich vor, die Übung noch einmal allein zu wiederholen. Und tatsächlich waren durch den Alkohol seine Hemmungen, sich mit seinen Empfindungen auseinander zu setzen deutlich gesunken. Er ließ es zu, jetzt das erste Mal seit langem. Und schon schien es ihn zu übermannen. All das, was er solange verdrängt hatte prasselte gleichzeitig auf ihn ein. Es war Mitten in der Nacht, aber Ysanne hatte ausdrücklich gesagt, dass ihr das egal war. "Ysanne. Ich schaffe es nicht ohne dich", schrieb er und hoffte, dass sie noch wach war. Er lehnte seinen Kopf an die Wand, schloss die Augen und hielt einfach nur aus, was auf ihn einströmte.

Ysanne antwortete wenige Sekunden später: "Wo bist du?"

"Zuhause." Er stand auf, um sich etwas Wasser zu nehmen, aber seine Hände zitterten so sehr, dass er das Glas fallen ließ. Es zersprang in tausend Scherben. Er fluchte und versuchte unbeholfen, das Chaos zu beseitigen.

Ysanne war 10 Minuten später bei Enric. Sie klopfte: "Enric, hier ist Ysanne." Sie würde eintreten, wenn er nicht reagiert.

Er wankte zur Tür und ließ sie ein. Das Chaos war noch nicht vollständig beseitigt. Enric hatte sich bereits an den Scherben geschnitten, aber das war augenscheinlich sein geringstes Problem. "Ysanne... Ich bin ein bisschen angetrunken, fürchte ich...", nuschelte er, während er die Tür wieder hinter ihr schloss. "Aber das ist ganz gut, weil es jetzt endlich funktioniert. Ich kann es jetzt. Warte, ich sag es dir gleich. Ich... Muss das hier bloß noch schnell wegmachen. Tut mir leid, wie es hier aussieht." Enric griff nach dem Kor und ließ die Scherben in einen Eimer schweben. Das gelang mehr oder weniger gut.

"Enric", sagte Ysanne sanft, aber bestimmt. "Die Scherben sind egal. Komm, setzen wir uns. Und dann erzählst du mir ganz in Ruhe, was los ist."

Er setzte sich. "Es ist jetzt alles da. Viel zu viel. Traurigkeit. Enttäuschung. Wut. Einsamkeit...", erklärte er mit etwas glasigem Blick. "Du kannst diese Übung nochmal mit mir machen. Ich sage dir jetzt, wie meine Reue ist. Das ist mir nicht zu persönlich. Ich habe gelogen, weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte..."

Ysanne sagte: "Konzentriere dich auf deinen Atem. Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen", gab sie den Takt vor. "Zähle laut mit. Eins. Einatmen. Ausatmen. Zwei. Einatmen. Ausatmen. Mach weiter..."

Er tat, was Ysanne sagte. Während er sich auf seinen Atem konzentrierte, nahm er nach und nach seinen Körper besser wahr. Er spürte eine leichte Übelkeit, Kopfschmerzen und den Schmerz, der von den Schnitten an seinen Fingern ausging. Trotzdem beruhigte er sich dadurch etwas.

Ysanne ließ die Übung noch einige Minuten weiterlaufen. Als offensichtlich war, dass Enric sich beruhigt hatte, fragte sie: " Wie geht es dir jetzt?"

"So gut, wie es einem angetrunkenen Mann, der mitten in der Nacht seine Lehrerin bei sich braucht nur gehen kann", murmelte er und schnaubte beinahe belustigt. "Aber besser jetzt. Dank dir."

"Kannst du aufstehen? Es wäre wohl das beste, wenn du erstmal ins Bett gehst."

"Pff, klar kann ich das." Er winkte ab, blieb aber sitzen. "Aber ich bin gar nicht müde. Ich kann jetzt eh nicht schlafen. Wenn ich jetzt einschlafe, verpasse ich die Chance deine Übung richtig zu machen..."

Ysanne seufzte innerlich. "In Ordnung, wir machen die Übung. Es ist besser, wenn du sie heute im Liegen machst. Willst du lieber auf dem Boden oder auf dem Bett liegen?"

"Auf dem Boden?", fragte Enric irritiert. Er schaute nach unten und sah die Scherben dort liegen. "Ehm, nee..." Er erhob sich und legte sich aufs Bett. "Ysanne... Du bist echt eine bemerkenswerte Person. Weißt du das eigentlich? Bestimmt ist Akaavi deinetwegen wieder halbwegs normal geworden", plapperte er vor sich hin.

Sie schaute, ob sie ihn stützen musste. Im Vorbeigehen nahm sie den Mülleimer mit. "Lass uns mit der Übung beginnen", ging sie nicht weiter auf sein Geplapper ein. Wie gewohnt, sollte er die Augen schließen. Sie hielt den Eimer bereit, falls er sich übergeben musste. Dann begann sie wie gewohnt damit, dass er in eins nach dem anderen Körperteil hineinspüren sollte. Die Wahrscheinlichkeit war groß, dass er noch währenddessen einfach einschlief.

Ihr Plan ging auf. Zunächst murmelte er noch irgendetwas Unverständliches vor sich hin, aber es dauerte tatsächlich nicht lange, bis er friedlich eingeschlafen war.

Ysanne deckte ihren Schüler vorsichtig zu, als sie sich sicher war, dass er tief und fest schlief. Dann setzte sie sich im Schneidersitz neben das Bett und begann zu meditieren. So würde sie selbst etwas Ruhe bekommen, doch gleichzeitig bei Enric sein, wenn er erwachte.

Am nächsten Morgen erwachte Enric wie er es gewohnt war recht zeitig. Das erste was er wahrnahm, waren starke Kopfschmerzen. Er schlug die Augen auf und setzte sich auf, um sich etwas Wasser zu holen. Da entdeckte er Ysanne, die vor seinem Bett saß. "Was machst du denn hier?", fragte er völlig verschlafen und irritiert.

Ysanne schlug die Augen auf. Sie wirkte ausgeschlafen und erfrischt. "Guten Morgen. Mach langsam, du hast wahrscheinlich einen ordentlichen Kater."

"Ehm, was?" Er überlegte einen Moment lang, was hier eigentlich vor sich ging. Ysanne hatte hier übernachtet. Aber sie waren beide angezogen, das war schon mal gut. Und sie saß vor seinem Bett. Da war ein Haufen Glasscherben... Ahh Ja, so langsam kehrten die Erinnerungen zu ihm zurück und mit ihnen die größte Scham, die Enric seit langem verspürt hatte. Am liebsten hätte er sich einfach nur unsichtbar gemacht, aber das ging wohl nicht. Also setzte er sich langsam auf, räusperte sich verlegen und sagte dann: "Tut mir leid wegen gestern und... Danke dass du für mich da warst. Möchtest du Frühstück? Ich mach dir gerne etwas..."

"Das war kein hohles Versprechen, dass ich für dich da bin, wenn du mich brauchst. Ich kann mir vorstellen, dass diese Situation hier sehr unangenehm für dich ist. Trotzdem muss ich fragen: An was von gestern kannst du dich noch erinnern? Und ja, ich nehme gerne ein Frühstück."

"Ich erinnere mich daran, dass ich mit Koi getrunken habe. Danach habe ich diese Übung ausprobiert. Es ging mir nicht gut. Und dann... Warst du irgendwie plötzlich da und wir haben diese Atemtechnik gemacht. Ich habe mich danach wohl hingelegt. Habe ich irgendetwas ausgelassen?", fragte er, hoffend dass er nichts allzu Peinliches getan hatte.
"Möchtest du hier frühstücken oder in den Gemeinschaftsräumen? Ich könnte dir draußen etwas machen und es dir bringen, wenn du möchtest. Ich kann dich danach auch ungesehen hier herausbringen, wenn du das vorziehst."

"Du hast mir eine Nachricht geschrieben, weil es dir nicht gut ging. Als ich hier ankam, lagen Glasscherben auf dem Boden. Ich nehme an, du hast das Glas fallen gelassen, als du allein warst. Dann hast du mir gesagt, dass du jetzt Zugang zu all deinen Gefühlen hast, dass dir alles zu viel ist und du warst ziemlich durch den Wind. Du hast mir auch gestanden, dass du als wir die Meditationstechnik das erste Mal gemacht haben, nicht wusstest, was du sagen solltest. Du hast jedenfalls darauf bestanden, dass ich die Übung mit dir mache. Darin warst du recht vehement. Ich habe gesagt, wir machen die Technik heute im Liegen, weil mir klar war, dass du dann recht schnell einschlafen würdest. Und so kam es dann auch."

"Und warum bist du dann hier geblieben?", erkundigte er sich noch immer etwas verwundert. Er erwartete auch noch immer, dass sie auf seine anderen Fragen noch antworten würde.

Dann fügte sie hinzu: "Dir ging es gestern sehr schlecht. Es wäre nicht gut gewesen, dich allein hierzulassen. Du hättest ja noch einmal aufwachen können. Lass uns zum Frühstücken in den Gemeinschaftsraum gehen. Und nein, du brauchst mich nicht ungesehen hier rausbringen."

"Verzeihung. Dass ich das vorgeschlagen habe liegt an der Macht der Gewohnheit", sagte Enric grinsend, so als müsse er hier alle Tage Damenbesuch hinaus schmuggeln. Dann ging er mit ihr in die Küche und bereitete ein Frühstück zu. Er war sich nicht sicher, ob er es schrecklich peinlich finden sollte, falls jemand hereinkam, oder ob er ein kleines bisschen darauf hoffte, dass seine Mitbewohner annahmen, dass er Ysanne abgeschleppt hätte. Am Ende überwog aber doch die Scham darüber, dass er sich so gehen lassen hatte und er beschloss, das Thema fortan nicht mehr aufkommen zu lassen.

Nach dem Frühstück erinnerte Ysanne ihn daran, dass es abends die nächste Übungseinheit für Enric geben würde. Dann verabschiedete sie sich und ging ihrer Wege.

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goldie
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Re: Zurück auf Gateway

Beitrag von goldie » 04.01.2021 19:12

Zwischenblende: Ein Monat, nachdem Enric sich von Jolene getrennt hatte...

Enric fragt Kyle, wie er Corbyn erreichen könne. Dann schrieb er ihm: "Hallo Corbyn, wie geht es deiner Schwester? Ist sie gut bei dir angekommen? Kannst du ihr eine Nachricht von mir übermitteln? Enric"

Corbyn antwortete: "Ich würde sagen, es geht ihr den Umständen entsprechend. Was willst Du ihr mitteilen?"

Enric schrieb eine weitere Nachricht: "Sag ihr bitte, dass sie gern wieder im Praxeum wohnen kann, falls sie zurück kommen möchte. Das hier ist ja auch ihr Zuhause. Wir können auch reden, wenn sie möchte. Ich hoffe nur, sie ist in Ordnung."

Eine Stunde später schrieb Corbyn zurück: "Gib ihr noch etwas Zeit. Sie wird zurückkommen, wenn sie soweit ist."

Enric ließ Corbyn wissen: "Okay. Und tut mir leid. Ich wollte deiner Schwester nie wehtun. Aber ich konnte das nicht mehr."

Corbyn antwortete: "Ich werde es ihr ausrichten."

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Re: Zurück auf Gateway

Beitrag von goldie » 04.01.2021 19:13

Nach Enrics Alkoholexzess führte Ysanne wie gewohnt die Übungen abends fort. Sie verlor von sich aus kein weiteres Wort über jene Nacht, es sei denn Enric würde es von sich aus ansprechen. Doch etwas positives hatte die Begebenheit dennoch gehabt: In der nächsten Stunde hatte Enric das erste Mal den Zugang zu den Fragen, die sie ihm stellte. Wieder hatte sie ihn nach einem harmlosen Gefühl gefragt, das er in sich trug und das ihn beschäftigte. Und dieses Mal entstanden unter ihrer Anleitung Formen, Farben, Töne... Enric spürte, aus welchem Material es war, ob es sich bewegte, wo es bei ihm im Körper saß oder ob es außerhalb war. Es war das erste Mal, dass die Übung an dieser Stelle für ihn weiterging.

Sie erklärte: "Jedes Gefühl, das wir gehen lassen wollen, birgt etwas positives für uns. Das kann eine Lehre sein, eine Botschaft oder dieses Gefühl will etwas für uns tun. Du bist jetzt in Kontakt mit deinem Gefühl. Frage es, was das positive für dich ist." Tatsächlich hatte Enric das Gefühl, dass er eine Antwort bekam. Als er verstand, dass diese Emotion nur deshalb so lästig in ihm herumschwirrte, weil sie ihn beschützen wollte, konnte er erklären, dass er von nun an selbst auf sich achten konnte. Er konnte sich verabschieden und das Gefühl gehen lassen. Es war nur der erste Schritt eines langen Weges, doch er konnte spüren, dass die Übung heute zu ein ganz klein wenig Seelenfrieden beigetragen hatte.

Zwei Wochen lang hatte Ysanne jeden Abend mit Enric trainiert. Jedesmal ging es um harmlose Gefühle, die nichts mit den aufwühlenden Ereignissen in seiner Vergangenheit zu tun hatten. Dann erklärte sie ihm: "Du bist sehr weit gekommen in den letzten 14 Tagen. Tjonne führt diese Meditation von nun an täglich von 6-8 Uhr mit einigen Schülern durch. Ich möchte, dass du daran teilnimmst. Es geht darum, dass du unter Anleitung und in Stille weiterhin übst. Bleibe bei den harmlosen Gefühlen in ihrem Unterricht. Wir beide sehen uns einmal in der Woche. Dann können wir uns nach und nach die Dinge anschauen, für die du bereit bist."

Tjonnes Unterricht war etwas eigentümlich. Es waren offensichtlich ausgewählte Schüler, denn es waren derer nur vier. Von einem wusste Enric, dass er bei der Zerstörung des Jedi Praxeums auf Yavin 4 dabeigewesen war. Die Stunden liefen jedesmal gleich ab: Zuerst wurde eine Stunde im Garten gearbeitet. Tjonne erklärte es so, dass sich die Schüler bei den scheinbar banalen Tätigkeiten wie jäten, umgraben und Rosen schneiden bereits mental auf die Übung vorbereiten konnten. Danach führte sie durch die Meditationstechnik, ohne jedoch nach Antworten zu fragen. So wie er, kannten die anderen Schüler die Technik bereits, das wurde Enric ziemlich schnell klar. Wenn jemand Probleme hatte, stand Tjonne für Einzelgespräche zur Verfügung.

Und so lernte Enric nach und nach, wie er Zugang zu seinen Emotionen gewinnen konnte. Nie drängte ihn jemand, weiter zu gehen, als er es selbst anbot. Und Stück für Stück bot sich ihm die Chance, negative Gefühle gehen zu lassen und sich auch vor Nebenwirkungen positiver Gefühle zu schützen. So konnte Liebe Eifersucht hervorrufen, Freude zu Übermut führen oder Selbstsicherheit zu Arroganz. Jeden Tag hatte Enric so die Gelegenheit, etwas mehr inneren Frieden zu finden.

Doch es gab da auch eine andere Stimme in ihm: Sie erinnerte ihn an die Wut, als Malgus ihn verlassen hatte und an die Kraft, mit der er viele starke Bäume entwurzelt hatte. Mit dieser Meditationstechnik würde er, wenn er es wollte, an den tiefsten Schmerz in sich herankommen. Wer weiß, wozu er in der Lage war, wenn er diese Kraft entfesselte?!

Anne
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Re: Zurück auf Gateway

Beitrag von Anne » 05.01.2021 00:06

An jenem Abend hatte Enric eine innere Barriere überwunden und gelernt, dass Ysanne auch wirklich für ihn da war, egal wie schwierig es werden würde. Er hatte Vertrauen gefasst - in sie, ihre Methoden und sich selbst, dass er auch von den dunkleren Orten seines Inneren wieder zurückkehren konnte.
In den kommenden Übungsstunden befasste er sich zunächst mit unmittelbaren alltäglichen Empfehlungen, später wandte er sich einigen Emotionen zu, die Jolene betrafen. Schließlich nahm er sich die Tat vor, die er begangen hatte.
In Tionnes Stunde schaute er sich Emotionen an, die mit dem Tod seines Meisters in Verbindung standen. Da er hier nicht darüber sprechen musste, kam es ihm relativ sicher vor. Er vertraute darauf, dass niemand seine Gedanken las. Die anderen Schüler aus diesem Kurs mied Enric. Am Ende würden sie ihm noch irgendwelche Fragen stellen, warum er an den Stunden teilnehmen musste und was er erlebt hatte. Das wollte er unbedingt vermeiden.
Auch befasste er sich niemals mit wirklich ernsthaft bedrohlichen Situationen und den dazugehörigen Gefühlen. Seine Gefangenschaft beim Kreis der wahren Macht und all die lebensgefährlichen Situationen, die danach gekommen waren, blieben von der Übung unberührt.
Und auch ganz generell änderte sich seine Einstellung nicht grundlegend. Gefühle loszulassen, die einen zu beherrschen versuchten war klug. Aber all diejenigen, die er selbst noch kontrollieren konnte - oder von denen er dies glaubte - würde er behalten, um Kraft daraus schöpfen zu können, wann immer er sie benötigte. Ein bisschen Schmerz tat vielleicht ab und zu ganz gut. Zu viel Frieden machte taub für die anderen Aspekte des Kors. So versuchte er, trotz aller Warnungen, die er dazu erhalten hatte, noch immer beide Wege in sich zu vereinen.

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