Widukinds Wächter

Es war kurz nach Sonnenaufgang. Die Gruppe hatte am Vortag die Hexe besucht. Nicht zu vergessen, dass sowohl Enric, als auch Jolene sehr persönliche Gespräche mit Owen geführt hatten. Und dann war da dieses große Missverständnis mit Syron gewesen. Das Ende vom Lied war, dass Enric und Jolene den ganzen Tag sehr frostig miteinander umgegangen waren. Als Owen sich schlafen gelegt hatte, war ihm noch aufgefallen, dass Enrics Bett leer war. Jolene hatte nur gemeint, dass er sich schon wieder einkriegen würde.

Als Owen nun morgens aus dem Zelt trat, konnte er nicht weit von ihm Jolene erkennen. Sie saß leicht abgewandt auf einem Stein, hielt ihre Beine fest umklammert, der Oberkörper wippte leicht vor und zurück, als müsste sie sich selbst trösten. Für einen halbwegs empathischen Zuschauer würde sie auch aus der Entfernung wie ein Häufchen Elend wirken.

Owen trat aus seiner Unterkunft, innerlich bei dem Gedanken an Caf, seinem morgendlichen Training und der wunderbaren Einsamkeit, als er Jolene da sitzen sah. Für einen Moment kam ihn der Gedanke an die unauffällige Flucht, dann seufzte er leise und ging zu Jolene, um sich stumm neben sie zu setzen. Dieses Mal folgte er nicht Akaavis Rat, sondern schwieg einfach. Er wusste, dass sie schon reden würde, wenn ihr danach war.

Jolene wischte sich mit der Hand über die Augen, als sie Owen bemerkte. "Ich hasse schlafen. Ich hasse Träume." Sie wirkte frustriert.

Owen grunzte kurz:"Schon wieder?" ... dann nach einer kurzen Pause "Wann fühlst Du Dich sicher?"

"Wenn dieser Banthamist endlich aufhören würde", knurrte die junge Frau.

Jolene strich sich mit der Hand durch die Haare. "Normalerweise würde ich ja mit Enric über so einen Traum reden. Aber seit gestern ist ziemlich dicke Luft zwischen uns. Man sagt ja immer, drüber sprechen soll helfen. Irgendwie stimmt das auch, so merkwürdig das auch klingt." Sie atmete durch, war ins Reden gekommen, als sei sie nicht sicher, ob sie wirklich von ihrem Traum erzählen wolle. Ihr Gesicht verhärtete sich.

"Hab von ihm geträumt. Also von Enric. Und von Ysanne. Es war alles so abstrus. Sie... Sie hat ihn beschuldigt, dass Enric der dunklen Seite folgt. Dass Darth Malgus ihn angeblich als Schüler aufgenommen hat. Und Enric... Er... Er hat sich bei ihr entschuldigt. Hat gesagt, dass es stimmt. Wollte es ihr erklären. Es hat sich alles so real angefühlt, obwohl er sowas ja niemals tun würde." Jolene starrte in die gerade aufgegangene Sonne. Das war sicher nicht gesund für die Augen, wobei fraglich war, wie sich das bei Cyberimplantaten verhielt. Jedenfalls machte es nicht den Anschein, als wäre das der ganze Traum gewesen.

"Welcher Banthamist? Und warum ist das mit Enric und Ysanne ein Alptraum?" Fragte Owen mit ruhiger Stimme währender er in die desolate Landschaft sah. Er hoffte die richtigen Fragen zu stellen, um Jolene dazu zu bringen sich mit ihren Träumen auseinandersetzen. Seine Gedanken drehten sich jedoch tatsächlich um die Frage warum das Gespräch zwischen Enric und Ysanne ein Problem sein sollte.

"Warum es ein Alptraum ist, wenn sich Enric mit Malgus verbündet? Hast du das jetzt echt gefragt?" knurrte sie missmutig. Trotzdem fuhr sie fort, vom Traum zu erzählen. "Ysanne sah so eiskalt aus, als könne sie jederzeit ihr Lichtschwert ziehen und Enric damit durchbohren. Jedenfalls hat er Ysanne angefleht, dass sie ihn anhören soll. Dass die Sache mit Malgus Vergangenheit ist. Dass das alles vorbei wäre, weil er erkannt hat, dass er dem falschen Weg folgt. Syron, Koi, Akaavi, ihr wart auch dort, hattet alles mitbekommen. Ich konnte nicht glauben, dass Enric mich so hintergangen hatte. Ich war bei dem Traum nur ein Zuschauer, wie bei einem Holovid. Aber Enric schaute mich auf einmal so komisch an und da wusste ich, dass er es tatsächlich getan hatte. Sich mit meinem Erzfeind verbündet..." Zum Ende war sie immer leiser geworden, sämtliche Kraft war aus ihrer Stimme gewichen.

Enric stand an der Seite, zwischen Owen und Jolene. Er hatte sich an einen Felsen gelehnt, einen Fuß ebenfalls an den Fels gestützt, die Arme verschränkt. Natürlich konnte weder Jolene noch Owen ihn sehen. Er war aus ihrer Wahrnehmung verschwunden, bekam im Gegenzug aber alles mit, was die beiden besprachen. Interessiert beobachtete er, wie seine Freundin Owen ihren 'Traum' auftischte.
Bei ihren letzten Sätzen wurde er zunehmend angespannt. Was soll das denn jetzt? Warum tut sie so, als habe sie von all dem nichts gewusst?, ging ihm durch den Kopf. Nur eines musste man ihr ja lassen. Eine ziemlich gute Schauspielerin war sie ja. Schade, dass sie nichts für das Theater übrig hatte. Nun schaute er erwartungsvoll zu Owen. Wie würde er wohl auf diese vermeintlich fiktive Geschichte von Jolene reagieren...?

Owen rang mit sich. Er war sich unsicher, ob er jetzt weiter fragen oder seine eigene Meinung einbringen sollte. Nach einem kurzen Zögern fragte er dann doch:"... Dein Problem ist, dass Enric Dich verraten könnte, weil er mit Deinem Feind kooperiert, um Dich zu ...?" Er ließ die Frage im Raum stehen.

Jolene runzelte kurz die Stirn. Sie wusste nicht, worauf Owen hinaus wollte.

"Deine Frage macht null Sinn", erwiderte sie missmutig.

Owen runzelte die Stirn, war das wirklich so schwer zu verstehen. Langsam und bedächtig antwortete er :"Also Malgus ist irgendwo genau so ein Geist wie Calista oder? Kann also ohne Station nichts machen... vielleicht spuken." Owen grinste kurz "Warum also wäre Enrics Bündnis mit ihm ein Problem? ... wenn Du nicht fürchtest, dass er Dich verrät? Oder hast Du UM ihn Angst? Warum ist also der Alptraum so erschreckend?"

Richtig, Owen. Er konnte nichts tun außer 'spuken'. Endlich Mal einer, der mich versteht, dachte Enric. Lächelnd blickte er zu Jolene, obwohl sie ihn nicht sehen konnte. Seine Liebste geriet gerade ganz schön in die Bredouille, hatte sie doch nicht erwartet, dass Owen sich als Traumdeuter versuchen würde. Das hätte ihr Plan wohl nicht vorgesehen.

"Warum es ein Problem wäre???" fragte Jolene aufgebracht. Es war wichtig, dass sie die Emotionen für dieses Schauspiel richtig rüberbrachte. Doch selbst heute noch war es ein heikles Thema und sie begann sich hineinzusteigern. Würde sie etwa die Kontrolle verlieren und sich verraten?

"Wenn der Mann, den du liebst, dich wochenlang hintergeht? Ich habe so lange gekämpft, von diesem Monster loszukommen!" brauste Jolene auf. "Glaubst du, die dunkle Seite schaltet man einfach ab? Ich kämpfe noch heute jeden Tag, um nicht wieder in diesen Strudel hineinzugeraten. Und Enric hält sich für stark genug, dass er dem widerstehen und kontrollieren kann? Pfff!"

Jolene atmete durch. Ihr war bewusst, dass sie sich hatte mitreißen lassen. Hatte Owen Verdacht geschöpft? Schnell fügte sie hinzu: "Jedenfalls erklärte er es so im Traum Ysanne, also dass er gedacht hatte, dass er nicht in diesen Sog gerät. Ich war so wütend auf ihn." Jolene hatte ihre Fäuste geballt. "Er hat gesagt, dass er nach anderen, stärkeren Möglichkeiten gesucht hat, um gegen das Xar-Kling-Shar zu kämpfen. Und dass Malgus das ausgenutzt hat. Dass er wegen seiner Sucht nicht klar denken konnte und er deswegen auf Malgus reingefallen ist. Nach einiger Zeit hätte er dann wohl erkannt, wie falsch dieser Weg ist und dann hat er sich von seinem Meister losgesagt." Jolene schüttelte den Kopf. "Ich hätte Enric erwürgen können, aber dann..." Sie schaute Owen plötzlich in die Augen: "Du hast einfach deinen Blaster gezogen und Enric erschossen." Stille folgte. Jolenes Kiefer war fest geworden. Lag dort etwa Anschuldigung in ihrem Blick?

Owen hörte aufmerksam zu und versuchte zu verstehen, was Jolene solche Angst machte. Dann kam sie zum Schluss und jeder Anflug von Verstehen wandelte sich in Indignation. "WAS??? ... warum sollte ich das tun ... argh" Owen atmete tief durch "... ein Traum... also warum solltest Du so etwas von mir träumen? Habe ich irgendwann den Eindruck gemacht, dass ich mich gegen das Team wenden würde?" Dieses Mal sah Owen Jolene direkt in die Augen "Bitte sei nicht sauer. Aber mir ist es scheißegal ob jemand hell oder dunkel oder meinetwegen gestreift ist. Solange er oder auch sie im Team ist, bin ich auf seiner oder ihrer... " er sah Jolene bedeutungsvoll an "... Seite. Wichtig ist doch nur was genau und wofür jemand etwas tut." Owen hielt inne "... also war der Alp in dem Traum, dass jemand von uns etwas unschönes erfährt und dann sehr viel unschöner reagiert?"

Jolenes Augen verengten sich. Für einen Moment könnte man meinen, sie würde Owen prüfend mustern. Dann fuhr sie sich mit der Hand durch die Haare. Mit so einer Antwort hatte sie nicht gerechnet.

"Merkwürdige Einstellung..." stellte Jolene fest, doch zumindest machte sie nicht den Anschein, dass sie wütend auf Owen war. "Der Alp war, dass du Enric erschießt. Keine Ahnung, warum ausgerechnet du das warst. Hätte genauso gut jemand von den anderen sein können." Sie atmete durch. Lächelte sogar ein wenig. "Mir geht es schon etwas besser. Danke, dass du zugehört hast."

Es kam äußerst selten vor, dass sich Jolene bei jemandem bedankte.