Böses Erwachen?!

[Anne]

"Kommt Ihnen das Verhalten der anderen denn sehr fern von dem vor, wie sie sich auch tatsächlich verhalten würden? In der echten Welt meine ich? Owen würde als guter Freund natürlich versuchen, Sie davon abzuhalten, Alkohol zu trinken. Insbesondere in einer solchen Krisensituation. Es ist gut, dass Sie auch in dieser Realität Freunde haben, die Ihnen helfen und denen etwas daran gelegen ist, dass Sie nicht rückfällig werden. Was Enric angeht... Koi und er standen sich sehr nahe, soweit ich das beurteilen kann. Es wundert mich nicht, dass er Schwierigkeiten damit hat, mit seinem Tod zurecht zu kommen. Die gesamte Situation war auch für Ihren Freund sehr belastend. Dass er sich dementsprechend nicht verhält wie vor diesen tragischen Ereignissen finde ich sehr nachvollziehbar. Aber sicher haben auch hier in dieser Wirklichkeit Ihre Handlungen Konsequenzen, oder? Wie wäre es, wenn Sie versuchen würden, mit der Situation genau so umzugehen, wie Sie es sonst tun würden? Wenn ich das richtig herausgehört habe, haben Sie sich in letzter Zeit auch nicht ganz so verhalten, wie Sie es normalerweise tun, oder?"

[goldie]

"Warum sollte ich auch? Was würde es ändern? Und nur weil alle sich so ähnlich verhalten, wie sonst auch, heißt das noch lange nichts. Ist das wirklich Ihr ach so kluger Rat? Mich normal zu verhalten?"

[Anne]

Xid lächelte. "Für kluge Ratschläge bin ich nicht zuständig. Ich versuche, mit Ihnen gemeinsam herauszufinden, wie Sie am besten in der Welt zurecht kommen, in der Sie sich gerade befinden - egal ob echt oder nicht. Haben Sie das Gefühl, dass Ihre Handlungen hier Konsequenzen haben?"

[goldie]

Jolene dachte nach. "Im ersten Traum gab es Konsequenzen. Jetzt im zweiten nicht. Es ist vollkommen egal, was ich tue. Glauben Sie, ich hänge hier noch lange fest?"

[Anne]

"Das weiß ich nicht. Wie kommen Sie darauf, dass Ihre Handlungen keine Auswirkungen haben? Reagieren sie anderen nicht auf die Dinge, die Sie sagen oder tun? Haben Sie vielleicht ein Beispiel für mich?", wollte Xid wissen.

[goldie]

"Es ist ein Unterschied, ob jemand einfach nur antwortet, so wie Sie jetzt, oder ob es ernsthafte Konsequenzen gibt. Natürlich reagieren die Leute auf Dinge, die ich tue. Aber dass wirklich etwas passiert? Nehmen wir Sie als Beispiel. Ich habe Ihnen eben erzählt, dass ich meine Familie umgebracht habe. Kam irgendeine Reaktion von Ihnen, geschweige denn eine Konsequenz?" Sie schlenderte zum Tisch, nahm ihre unberührte, doch längst abgekühlte Teetasse und ging auf Xid zu. Sie streckte den Arm aus, offenbar mit der Absicht den Tee über seinem Kopf auszuschütten.

[Anne]

"Lassen Sie das!", sagte Xid und trat einen Schritt von ihr weg. Falls sie tatsächlich an ihrem Vorhaben festhielt, würde er versuchen sie sanft daran zu hindern.
"Ihre Taten haben nämlich durchaus Konsequenzen, jetzt in diesem Moment. Wenn Sie mich unangemessen behandeln werde ich Sie bitten zu gehen. Und was die Sache mit Ihrer Familie angeht muss ich gestehen, dass ich das so wie sie es gerade formuliert haben bisher nicht verstanden hatte. Aber es kann gut tun, Dinge klar und deutlich auszusprechen. Vielleicht ist jetzt ein sehr geeigneter Zeitpunkt, um darüber zu reden. Vielleicht ist dieses ganze - etwas gewöhnungsbedürftige Scenario - eine große Chance für Sie. Ich hatte immer den Eindruck, dass es da noch Themen gibt, an die Sie sich bislang nicht herangewagt hatten. Jetzt haben Sie die Gelegenheit..."

[goldie]

Jolene schnaufte, als Xid zurück wich. Doch sie setzte nicht nach, sondern hörte ihm zu.
"Der echte Doc hat mir geschrieben, dass es gut tut, mit anderen zu sprechen. Er hatte Recht. Nicht dass ich es jemals in der Realität machen würde. Aber hier habe ich mich bei Syron und Owen bedankt, weil die zwei echt okay sind. Und ja, das fühlte sich gut an."
Sie trank einen Schluck Tee und verzog das Gesicht. Kalt schmeckte er nicht. Sie ließ sich auf einen der beiden Sessel plumpsen, stellte den Tee ab und legte dann bequem ihre Füße auf das kleine Tischchen.
"Vielleicht nutzt es ja tatsächlich mit Ihnen über all diese Sachen zu sprechen", sagte sie vage. "Was wollen Sie wissen?"
Sie saß offensichtlich hier fest, warum nicht diese Gelegenheit nutzen, die er anbot?

[Anne]

Xid war erleichtert von Jolenes Reaktion. Er setzte sich ebenfalls.
"Sie sagten gerade, dass Sie Ihre Familie getötet haben. Wie kam es dazu?"

[goldie]

"Die Techsig haben sie entführt und umgewandelt. Nicht nur meinen Bruder und meinen Vater, nein die ganze Drecks Millionenstadt." Sie lachte freudlos auf. "Ist es nicht eine Ironie des Schicksals, dass mein Vater selbst dran schuld war? Hat die Techsig beklaut ohne es zu wissen. Das muss so brisantes Material gewesen sein, dass sie mal eben eine ganze verdammte Stadt eingesackt haben, damit die Infos nicht die Runde machen. Und ich... Ich bin los und habe einen nach dem anderen erlöst. Einfach so..." Mit einer flüssigen Handbewegung hatte Jolene auf einmal ihren Blaster in der Hand und zielte auf ihren Therapeuten. "Pchio" ahmte sie das Geräusch eines Schusses nach.

[Anne]

"Stecken Sie Ihre Waffe ein", entgegnete Xid zwar in ruhigem aber doch dringlichen Tonfall. Er erinnerte sich nur zu gut an eines ihrer früheren Zusammentreffen auf Boranda. Seine Patientin war jetzt so unberechenbar wie eh und je. Eine gefährliche Situation. Aber er würde sie jetzt nicht im Stich lassen. Nicht in diesem Augenblick, da sie sich endlich öffnete.
"Wenn Sie sagen, Sie hätten es einfach so getan, hört es sich so an, als wäre es ihnen nicht schwer gefallen. Aber so war es nicht, oder? Wie ging es Ihnen dabei?"

[goldie]

Jolene steckte ihre Waffe ein. Im wahren Leben hätte sie Xid niemals auf diese Weise bedroht. Er hatte längst ihren Respekt erlangt. Doch hier im Traum... Sie rechnete nicht mit Konsequenzen, das hatte der Therapeut genau richtig erkannt.

Seine Fragen, immer noch das Gefühl des kühlen Blasters, den sie gerade in der Hand gehalten hatte. Das Zielen. Das Gesicht ihres Vaters. Nächste Nähe. Der Schuss.

Ihre Hände begannen zu zittern. Ihr Kiefer wurde fest.

Sie hatte den Geruch wieder in der Nase, war wieder dort. "Es tut mir leid", flüsterte sie. "Ich hoffe, es geht dir jetzt besser als vorher." Sie wischte sich eine Träne fort, blickte sich hastig um, ob sie entdeckt worden war. Nur um festzustellen, dass sie noch immer in Xids Sessel saß. Dann atmete sie tief durch, intuitiv die Atemtechniken nutzend, die sie so oft trainiert hatte. "Was war Ihre Frage?" wandte Sie sich an den Therapeuten, nachdem sie sich wieder gesammelt hatte.

[Anne]

Er ging nicht auf ihre Frage ein.
"Sie haben sich eben bei jemandem entschuldigt", stellte er mit sanftem Ton fest. "Mit wem haben Sie gesprochen?"

[goldie]

"Mit Vater", erwiderte sie einsilbig.

[Anne]

"Erzählen Sie mir bitte etwas über Ihren Vater. Ich denke, er hat Ihnen viel bedeutet. Was für ein Mann war er?"