Therapiesitzung

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Anne
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Beitrag von Anne » 17.02.2022 23:48

Zwei Monate waren vergangen, seit Jolene und die anderen von ihrer Mission zurückgekehrt waren. In dieser Zeit hatte Jolene in ihrer Therapie erstaunliche Fortschritte gemacht. Xid war durchaus angetan von ihrer Anstrengungsbereitschaft und ihrer neuen Offenheit. Nur ein Thema war für sie bisher scheinbar absolut unzugänglich gewesen. Der Traum, der sie erkennen lassen hatte, dass dies die Realität sein musste. Der Therapeut hatte sich vorgenommen, seine Patientin heute noch einmal darauf anzusprechen. Er hatte jetzt das Gefühl, dass sie soweit sein könnte.
Xid hatte die Stunde damit begonnen, ganz allgemein über das Befinden der jungen Frau zu sprechen, ob es etwas Neues gab und wie sie die Inhalte der letzten Stunden umgesetzt hatte. Schließlich, als der den Eindruck hatte, dass sie recht stabil in diese Stunde hereingegangen war, sagte er: "Wissen Sie, Jolene, es gibt da ein Thema, das ich gerne nochmal mit Ihnen aufgreifen würde. Seit gut zwei Monaten wissen Sie nun, dass Sie sich in der Realität befinden. Die Ursache hierfür war ein Traum, der sich offensichtlich sehr bewegt hat. Bisher hatte ich den Eindruck, dass Sie nicht darüber sprechen können, was Sie in dieser Nacht geträumt haben. Nun traue ich Ihnen zu, stark genug dafür zu sein. Sicherlich haben Sie inzwischen auch ein wenig Abstand dazu gewonnen. Ich denke, es könnte Ihnen helfen, darüber zu reden. Würden Sie mir von Ihrem Traum erzählen?

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goldie
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Re: Therapiesitzung

Beitrag von goldie » 18.02.2022 00:10

Jolene nahm einen Schluck Tee und starrte eine Weile auf die Tasse in ihren Händen. Schließlich nickte sie. "Okay." Sie konnte sich an jedes Detail erinnern, hatte noch oft am diesen Traum gedacht.
Sie erzählte, was im Traum geschehen war, jedoch ohne zu beschreiben, was sie dabei gefühlt oder gedacht hatte. An einigen Stellen war es ihr sichtlich schwergefallen, weiterzusprechen, z.B. als sie Enric das erste Mal gesehen hatte, als sie ihn fast gefoltert hätte und als ihr Vater ihn erschoss. Der Tod ihres Bruders nahm sie ebenfalls mit. Über ihn sagte sie, dass er ihr nie in den Rücken gefallen wäre. Über das Verhalten von Vater oder Stiefmutter erwähnte sie nichts dergleichen. Als sie schließlich von den Machtblitzen sprach, wurde sie sehr blass. Sie schloss mit: "Die Blitze haben Vater das Fleisch von den Knochen gerissen. Ich bin dann von meinem eigenen Schrei aufgewacht."
Wieder starrte sie in die nun leere Tasse.

Anne
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Re: Therapiesitzung

Beitrag von Anne » 18.02.2022 00:19

Xid hörte sich alles konzentriert an und machte sich gelegentlich kurze Notizen. Trotzdem hatte Jolene das Gefühl, dass er mit seiner Aufmerksamkeit völlig bei ihr war. Als Jolene geendet hatte sagte er: "Vielen Dank, dass Sie das mit mir geteilt haben. Es ist bestimmt nicht leicht gewesen, darüber zu sprechen. Ich muss sagen, das hört sich auch wirklich sehr erschreckend an. Es würde wohl jeden verstören, so etwas Miterleben zu müssen und sei es nur im Traum." Er machte eine kurze Pause, in der er Jolene musterte, dann fuhr er fort: "Dieser Traum hat sie gleich mit mehreren Themen konfrontiert, die Sie sehr bewegen und belasten. Können Sie sich vorstellen, welche das sein könnten?"

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goldie
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Re: Therapiesitzung

Beitrag von goldie » 18.02.2022 08:54

Jolene starrte weiter auf ihre Tasse. Irgendwann begann sie zu sprechen: "Die Machtblitze." Nie zuvor hatte sie Xid verraten, welche Machtfähigkeiten sie hatte, selbst nicht, wenn sie nur davon geträumt hatte. Doch auch hier hatte sie nicht erwähnt, ob sie diese Fähigkeit sich in der Realität besaß. "Ich träume immer mal wieder davon, auf die dunkle Seite zu geraten." Sie sprach recht ruhig darüber, anscheinend konnte sie mit dieser Art von Träumen verhältnismäßig gut umgehen.
"Meine Familie." Sie hatte Xid nur nach ihrer Ankunft näheres zu diesem Thema gesagt. Ein paar Tage später hatte sie ihm gedroht, dass etwas sehr schlimmes mit ihm passieren würde, wenn sich jemand nur ein Sterbenswörtchen davon erfahren würde. Und er ja nicht glauben solle, sie wäre dazu nicht fähig. Danach hatte sie sich geweigert in irgendeiner Weise darüber zu sprechen.
"Und natürlich Enric. Ich hätte niemals gedacht, dass ich fähig bin, ihm etwas anzutun." Ihre Hände begannen zu zittern. Jetzt rannen auch wieder stumme Tränen.

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Re: Therapiesitzung

Beitrag von Anne » 18.02.2022 11:21

"Wenn ich das richtig verstanden habe, haben Sie ihm ja auch nichts angetan. Sie haben sich dagegen entschieden und sich stattdessen gegen Ihre eigene Familie gewendet", bemerkte Xid. Er dachte einen Moment nach, wie er seine Gedanken möglichst behutsam formulieren konnte, dann fuhr er fort: "Als Sie das letzte Mal Ihre Familie thematisiert hatten, haben Sie davon gesprochen, was für ein großartiger Mann ihr Vater war, dass Sie eine unbeschwerte Kindheit hatten und dass Sie einen starken Zusammenhalt innerhalb Ihrer Familie verspürt haben. Wie passt das zu diesem Albtraum? Ist er sehr weit entfernt davon, was Sie in der Realität erlebt haben?"

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goldie
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Re: Therapiesitzung

Beitrag von goldie » 18.02.2022 12:29

"Sie wissen gar nicht, wie kurz ich davor war, Enric wehzutun. Ich hatte keinen anderen Ausweg gesehen. Ich konnte ihn einfach nicht töten und das lag nicht allein an den Konsequenzen, die ich zu befürchten hatte. Wäre mir diese Schürze nicht aufgefallen, hätte ich es getan." Sie seufzte schwer.
"Aber diese ganze Situation hätte so nie passieren können. Ich verliebe mich nicht mal eben in einen wildfremden Typen." Kurz musste sie an die beiden Jungs denken, zu denen sie tatsächlich etwas empfunden hatte. Sie schluckte, als sie an die Konsequenzen dachte, was ihrem ersten Freund angetan wurde und schob den Gedanken schnell beiseite. "Jedenfalls hätte mich Corbyn in so einer Situation niemals verraten", schloss sie knapp und sagte mit diesen Worten doch so viel.

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Re: Therapiesitzung

Beitrag von Anne » 18.02.2022 12:33

"Gut, dass Sie sich auf Ihren Bruder verlassen konnten. Wie steht es mit Ihren Eltern? Wäre es denkbar gewesen, dass sie so gehandelt hätten?"

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Re: Therapiesitzung

Beitrag von goldie » 18.02.2022 12:58

"Sie war nicht meine Ma!" brauste Jolene auf. Das musste unbedingt richtiggestellt werden. Offensichtlich passte es ihr überhaupt nicht, sie mit unter den Begriff Eltern zu wissen. "Und ja, meine Stiefmutter war ganz genauso drauf. Sie war einfach eine vollkommen irre Psychopathin."

"Und mein Vater... " Sie fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Dann starrte sie aus dem Fenster. "Er war ein guter Mann." behauptete sie stur und wich damit Xids Frage aus.

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Re: Therapiesitzung

Beitrag von Anne » 18.02.2022 14:08

"Gut, beschäftigen wir uns zunächst mit Ihrer Stiefmutter. Sie sagten, sie wäre genau so gewesen wie in Ihrem Traum. Das Thema Folter haben Sie mir schon häufiger genannt als etwas das Sie ängstigt. Sind Sie je Zeugin von so etwas geworden? Ob in ihrem Zuhause oder anderswo..."

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Re: Therapiesitzung

Beitrag von goldie » 18.02.2022 18:21

"Sicher", antwortete sie schulterzuckend, als sei es das Normalste der Welt. "Schon von ihren Erzählungen her wusste ich ziemlich genau Bescheid. Ich konnte sie zwar nie sonderlich leiden, aber anfangs wollte ich wie sie werden, weil Vater immer sehr begeistert zugehört hat. Als ich 12 war, habe ich mich in eine ihrer Folterkammern geschlichen und heimlich zugesehen." Jolene schloss die Augen und atmete durch.
"Es war... anders... als ich es mir vorgestellt hatte. Aber ich wusste, dass mein Vater immer sehr stolz auf ihre Ergebnisse war. Also wollte ich ihm beweisen, dass ich es auch kann. Bei unserem nächsten Gast bin ich also... Nein anders. Oft hat sie die Opfer über Nacht festgekettet und Holovids laufen lassen, wie sie andere Leute gefoltert hat. Als kleinen Vorgeschmack sozusagen. Erst am nächsten Morgen ging es dann los. Beim nächsten Mal hab ich mich nachts runtergeschlichen. Ich wusste, welche Informationen mein Vater haben wollte und wie unsere Wachleute patroullieren. Deswegen konnte ich ungesehen zu ihr. Lassen Sie die Frau 20 gewesen sein. Sie war total verängstigt. Hat mich angefleht, dass ich ihr helfe. Ich habe mir jedenfalls die Folterinstrumente angeguckt. Hatte ja gesehen, wie sie gearbeitet hatte. Habe mir dann ein Skalpell ausgesucht..." Jolene wurde das erste Mal, seit Xid sie kannte rot. Sie brach ab und schüttelte den Kopf. "Egal, lassen Sie uns über was anderes reden."

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Re: Therapiesitzung

Beitrag von Anne » 18.02.2022 20:12

Nun musste Xid tatsächlich Mal all seine Selbstbeherrschung aufbringen, um auf diese Erzählung nicht in irgendeiner Form schockiert zu reagieren. Er behielt seine professionelle Miene bei, aber es bewegte ihn innerlich schon, so etwas zu hören. Immerhin wunderte ihn nach diesem Geständnis gar nichts mehr, was er mit dieser jungen Frau schon erlebt hatte oder von ihr gehört hatte. Xid empfand Mitleid gegenüber dem kleinen Mädchen, das Jolene damals noch gewesen war. Die Galaxis war ein viel zu rauer Ort. Dies bewies diese Annahme von ihm Mal wieder.
"Wir könnten über etwas anderes reden. Aber solange Sie sich diesem Thema nicht stellen wird es immer wieder Teil Ihrer Albträume sein und Sie vielleicht auch anderweitig einholen. Sie sind bereits so weit gekommen. Bitte erzählen Sie mir, was weiterhin passiert ist. Sie müssen es nicht bis ins letzte Detail beschreiben, wenn es Ihnen zu unangenehm ist."

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Re: Therapiesitzung

Beitrag von goldie » 18.02.2022 20:28

Jolene fuhr sich mit der Hand durch die Haare, als sie an die Situation zurück dachte. Schließlich gestand sie beschämt: "Ich habe es nicht über mich gebracht." Jolene atmete durch. "Ich wollte nicht so sein, wie meine Stiefmutter. Ich habe nie in meinem Leben jemanden gefoltert. Naja, nicht wirklich", fügte sie eine kleine, aber feine Korrektur hinzu.
"Ich... Ich habe..." Jolene hatte sichtlich Probleme damit, weiterzusprechen. "Ich habe ihr zur Flucht verholfen, damit diese verdammte Hexe nicht schon wieder einen Erfolg feiert." Sie starrte auf die Tasse, die sie nach wie vor fest mit den Händen umklammert hielt. "Ich hätte das nicht tun dürfen. Ich habe meinen Vater vorher noch nie so wütend erlebt, als klar war, dass sie abgehauen ist." Jolene biss sich auf die Unterlippe, als wolle sie verhindern, dass sie noch mehr sagte.

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Re: Therapiesitzung

Beitrag von Anne » 18.02.2022 20:57

Xid lächelte. "Jetzt hätten Sie mir fast verschwiegen, dass Sie doch eine von den Guten sind. Das war sehr mutig von Ihnen. Ich nehme an, Ihre Tat hatte damals Konsequenzen für Sie?" Nun schaute er sie mitfühlend an.

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Re: Therapiesitzung

Beitrag von goldie » 18.02.2022 21:13

Jolene lächelte nicht. "Von den Schwachen", hätte mein Vater gesagt. "Sie sind der erste, der erfährt, was ich damals getan habe. Es ist nie rausgekommen, dass ich es war. Vater ist davon ausgegangen, dass es die Wachleute waren. An dem Abend darauf war meine Stiefmutter sehr zufrieden und er hat sich darüber ausgelassen, dass das Wachpersonal wesentlich härteren Checks unterzogen wegen müsste. Sie haben wahrscheinlich beide sehr schnell gestanden, aber ich kann mir vorstellen, dass sie sehr gelitten haben. Ich konnte sie ganz gut leiden. Es war meine Schuld, dass sie gestorben sind."
Jolene war blass nach ihrem Geständnis. Xid und sie hatten sich bereits oft über das Thema Schuld und Verantwortung unterhalten. Inzwischen hatte sie auf jeden Fall auf der rationalen Ebene große Fortschritte gemacht. Sie gab sich nicht mehr die Schuld an Kois Tod. Auch Enric hatte sie in den letzten Wochen immer mehr loslassen können. Es war das eine, das sie ihn gebraucht hatte. Doch das andere war, dass sie nicht damit hätte leben können, wenn ihm etwas zustieß und sie nicht bei ihm gewesen wäre, um es zu verhindern.
Doch trotz ihrer Fortschritte fiel Jolene beim Thema Schuld, immer wieder in alte Muster zurück, und es tauchte in der einen oder anderen Form immer wieder auf.

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Re: Therapiesitzung

Beitrag von Anne » 19.02.2022 00:35

"Eine von den Schwachen", wiederholte Xid nachdenklich. "Ich habe den Eindruck, dass Sie die Werte Ihres Vaters inzwischen ein Stück hinter sich gelassen haben. Warum sonst sollten Sie sich nun ausschließlich mit Personen umgeben, die offenbar ganz andere moralische Vorstellungen haben? Aber natürlich begleitet es uns bis ins hohe Erwachsenenalter, ich möchte sagen ein Leben lang, was wir in unserer Familie vermittelt bekommen haben. Nachdem, was ich bis jetzt gehört habe, würde ich vermuten, dass Kontrolle Ihrem Vater sehr wichtig war. Eine Situation nicht beherrschen zu können erzeugte offenbar großen Zorn bei ihm, der sogar zum Tod anderer führen konnte. Und in diesem Fall haben Sie etwas von ihm mitgenommen - Ihren Wunsch danach, Situationen beherrschen zu können. Doch entgleitet Ihnen etwas reagieren Sie - inzwischen - nicht mehr so häufig mit Zorn sondern mit Schuldgefühlen und Versagensvorstellungen. Dabei waren Sie damals als junges Mädchen überhaupt nicht in der Lage, es richtig zu machen. Ihr Handeln hat indirekt zum Leiden und Sterben dieser Wachleute geführt. Ihr Nicht-Eingreifen hätte dazu geführt, dass diese junge Frau gefoltert und getötet worden wäre. Vielleicht hätte sie unter Folter noch mehr Leute verraten, was zu weiteren Toten geführt hätte. Doch all das lag nie in Ihrer Verantwortung! Sie waren ein Kind. Die Täter und somit die alleinig Schuldigen waren Ihre Familienangehörigen, die Sie hätten schützen sollen, anstatt Sie zu traumatisieren. Verstehen Sie, worauf ich hinaus will? Sie hatten damals keine Kontrolle über die Geschehnisse. Und sobald Sie das akzeptiert haben, werden Sie sich vergeben können."

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