Schrecken ohne Ende...?

[Anne]

"Dann bleibe ich natürlich bei Ihnen. Darf ich mir eine Frage erlauben? Bevor Sie Ihren Bruder hinaus geschickt haben hat er zwei Dinge gesagt: Er hat ihre Errungenschaften aufgezählt und vermutet, dass ihr anderer Bruder stolz auf Sie wäre. Was davon hat dazu geführt, dass Sie Corbyn für heute nicht mehr sehen wollten? Warum hat seine Aussage Sie so aufgewühlt?", wollte Xid wissen.

[goldie]

Jolene fuhr sich mit der Hand durch die Haare. "Wollen Sie, dass ich Sie auch noch rausschmeiße?" Sie atmete durch. "Ich versteh einfach nicht, warum er so verdammt nett zu mir ist. Enric hat auch immer gesagt, er ist stolz auf mich. Was soll ich jetzt überhaupt noch glauben? Ich will das nicht mehr hören. Und was maßt Corbyn an, zu sagen, was Keeran gedacht hätte und was nicht", erwiderte sie schließlich frustriert.

[Anne]

"Vielleicht haben Ihre Brüder einander sehr gut gekannt, sodass er meint, es einschätzen zu können. Ich finde es verständlich, dass Sie nach dem, was Enric Ihnen gesagt hat, Schwierigkeiten haben zu vertrauen, Zuneigung anzunehmen und auch Lob und Anerkennung zulassen zu können. Aber das wird mit der Zeit besser werden, Sie werden sehen", sagte Xid zuversichtlich.
Dann lehnte er sich zurück und fragte lächelnd: "Sagen Sie, ich habe gehört, dass Sie in diesem einen Spiel sehr gut sein sollen. Pazaak oder so ähnlich? Ich kenne es nicht. Würden Sie es mir beibringen, wenn ich Karten organisieren kann?"

[goldie]

Jolene reagierte bloß mit einem Schulterzucken, auf die Aussage, dass sie später würde Lob und Anerkennung annehmen können.

Als er sie nach dem Spiel fragte, musste sie breit grinsen. "Alles klar, ich zeig's Ihnen."

Und so lernte der Therapeut die Regeln vom Pazaak. Jolene spielte sogar ganz ohne zu schummeln, um ihn nicht von Anfang an abzuschrecken.

Später fragte sie, ob Akaavi ihr Gesellschaft leisten würde. Mit ihm schaute sie sich Actionfilme an, bis es endlich Schlafenszeit war.

[Anne]

Xid war erleichtert, dass Jolene sich auf diese Ablenkung eingelassen hatte. Sie steckte diesen höchst emotionalen Tag sowieso ziemlich gut weg. Bestimmt würden sie bald tatsächlich damit beginnen können, Jolene wieder langsam an das Leben draußen heran zu führen - allerdings ganz sicher nicht vor der Abreise Enrics.
Jetzt, wo die junge Frau verstanden hatte, dass dies die wirkliche Welt war, war sie ganz offenbar auf einem guten Weg.

[goldie]

Corbyn war in der Nähe geblieben. Die Zeit schleppte sich dahin und Xid kam nicht hinaus. Er hinterließ dem Therapeuten eine Nachricht, dass er ihn anrufen sollte und lief dann hinüber zur Cantina. Ein paar Prozente täten jetzt sicher gut.

[Anne]

Als Xid Jolene verlassen hatte, sah er Corbyns Nachricht. Er schrieb ihm zurück, dass er ihn lieber persönlich treffen würde und ihn in seinem Büro erwartete.

[goldie]

"Von mir aus", murmelte Corbyn, der nicht mehr ganz nüchtern war. Er machte sich auf den Weg. Dann klopfte er bei Xid und ließ sich in dessen Büro führen. Er wirkte angespannt und missgelaunt.

[Anne]

"Bitte setzen Sie sich", forderte Xid ihn freundlich auf. Natürlich entging ihm nicht, dass Corbyn getrunken hatte, aber er hielt es im Moment nicht für klug, das anzusprechen.
Auch Xid selbst wirkte etwas erschöpft als er sagte: "Harter Tag heute, was?"

[goldie]

Corbyn setzte sich und antwortete: "Sie waren ja ewig da unten. Wie geht es ihr? Ist sie wieder runtergekommen? Kann ich morgen zu ihr?"

[Anne]

"Es geht ihr erstaunlich gut, wenn man bedenkt, was sie heute alles durchgemacht hat. Ihre Schwester hat mir die Kunst des Pazaak Spiels näher gebracht. Das hat sie ein bisschen abgelenkt. Jetzt schaut sie sich Filme an, mit Akaavi, einem Freund von ihr. Sie hat sich dann ganz gut beruhigt und hat sogar ein wenig gelächelt. Ich glaube schon, dass Sie sie morgen wieder besuchen können. Nehmen Sie ihre Ablehnung vorhin bitte nicht persönlich. Das war einfach alles ein bisschen viel heute...", antwortete Xid. Er dachte daran, was seine Patientin zu ihrem Bruder gesagt hatte - dass er ihm nichts tun dürfe, weil er unter Jolenes Schutz stünde. Da sie im Augenblick recht klar war vermutete er sogar, dass das eine berechtigte Forderung gewesen war. Den Hang zur Gewaltbereitschaft kannte Xid ja schon von seiner Schwester. Er fragte sich, ob dieser Mann vor ihm wirklich bereit gewesen wäre, ihm gefährlich zu werden und ob er sich in diesem Fall dann von seiner verrückten kleinen Schwester davon abbringen ließ. Aber er versuchte, sich seine leichte Unsicherheit Corbyn gegenüber nicht anmerken zu lassen.

[goldie]

"Wie soll ich das nicht persönlich nehmen, was sie gesagt hat? Es hätte ihr doch klar sein müssen, dass zwischen uns alles in Ordnung ist." Er schüttelte den Kopf. "Das alles ihrem Wahnsinn zuzuschreiben ist etwas zu einfach." Corbyn schaute sich im Raum um. Manche Büros verfügten über eine Minibar, doch dieses offensichtlich nicht. "Wieso war das überhaupt Thema? Ihr Ex serviert sie so richtig ab und auf einmal will sie mit mir nichts zu tun haben? Sie hätte in der Vergangenheit nur was sagen müssen und ich wäre sofort bei ihr gewesen. Aber nein. Sie verschweigt mir, dass sie süchtig war, dass sie seit über einem Jahr in Therapie ist und wenn ich ihr sage, dass ich stolz auf sie bin, dreht sie durch. Sie war ja früher schon nie einfach. Aber jetzt gleicht sie unraffiniertem Coaxium." Er schnaufte resigniert.

[Anne]

"Unraffiniertes Coaxium, hm? Das habe ich irgendwo schon Mal gehört. Aber Ihre Schwester hat sich schon deutlich verbessert, was das angeht. Sie war schon Mal wesentlich gefährlicher, als sie es inzwischen ist", merkte Xid an. Dann nahm er sich vor, auf all die Dinge einzugehen, die Corbyn beschäftigten. Wenn ein Silverdust sich schon Mal öffnete, dann anscheinend nicht nur mit einem Thema.
"Ihre Schwester ist wohl davon ausgegangen, dass Sie es ihr mitteilen würden, sollten Sie Ihre Meinung ändern. Jolenes Tat mag verständlich gewesen sein aber dennoch durchaus schwerwiegend. Es wäre auch nachvollziehbar gewesen, wenn Sie ihr nicht vergeben hätten. Dies und der Umstand, dass sie selbst nicht im Reinen damit ist, diese Tat begangen zu haben, haben ihrer Schwester gar nicht die Möglichkeit gegeben anzunehmen, dass Sie ihr plötzlich vergeben, ohne etwas dazu zu sagen. Und wenn Jolene davon ausgehen muss von Ihnen abgelehnt zu werden, wendet sie sich natürlich auch nicht mit persönlichen Problemen an Sie. Zumal, wenn ich das richtig verstanden habe, in Ihrer Familie das ein oder andere Vorurteil darüber existierte, psychisch erkrankt zu sein und eine Therapie zu machen. Wahrscheinlich wollte Ihre Schwester nicht schlecht vor Ihnen dastehen und Sie außerdem nicht mit ihren Sorgen belästigen, da sie ja glauben musste, von Ihnen zurückgewiesen zu werden. Aber Ihre Schwester war trotzdem nicht allein damit. Sie hatte Menschen, denen sie vertraut hat und mit denen sie reden konnte. Einer davon hat ihr Vertrauen heute schwer erschüttert und sie sehr enttäuscht. Ich habe im Übrigen nicht gewusst, dass Enric vorhatte so etwas zu behaupten. Jedenfalls ist es da nur verständlich, dass Ihre Schwester davon zutiefst verunsichert ist. Der Mensch, dem sie am meisten vertraut hat und den sie am meisten liebte, hat sie scheinbar hintergangen. Dass er das nicht tatsächlich getan hat, ist uns sicherlich beiden bewusst. Es besteht auch kein Bedarf, den Exfreund Ihrer Schwester zu beseitigen oder so etwas. Jolene kann im Moment nicht glauben, dass sie jemand wirklich liebt und wertschätzt, weil sie ihr Vertrauen verloren hat. Ich denke, es wird wiederkommen aber das benötigt Zeit und viele Gespräche."

[goldie]

"Glauben Sie wirklich, ich würde mich mit einem Scharfschützengewehr auf die Lauer legen und ihm einen Blasterschuss verpassen? Ich bin kein kaltblütiger Killer. Wie kommen Sie darauf? Weil sie in ihrem Wahn behauptet, dass ich Ihnen was antun könnte und damit meiner Schwester die Chance nehme, gesund zu werden? Nicht jeder beim Geheimdienst wurde dafür eingestellt, um Leute auszuschalten."

[Anne]

"Verzeihen Sie, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten. Wenn es keinen Grund zur Besorgnis gibt, dann ist es ja umso besser. Ich dachte bloß, ich erwähne es Mal für den Fall der Fälle", sagte Xid. Er schob Corbyn einen Teller mit Keksen zu. "Immerhin hatten Sie sich anscheinend ja schon ganz gut überlegt, wie es gehen könnte", erwähnte er beiläufig. Anders als mit einem Scharfschützengewehr oder Gift würde Corbyn nämlich vermutlich schlechte Aussichten haben, einen Machtsensitiven umzubringen.
"Essen Sie ruhig etwas. Ich könnte mir vorstellen, dass Sie heute bisher wenig Gelegenheit dazu hatten."