Ein neuer Anfang

[goldie]

In den Tagen nach der Trennung war Jolene voller gemischter Gefühle. Sie schwankte zwischen der Wut auf Enric und den Zweifeln an sich selbst. Dass sie nichts bemerkt hatte, auf ihn hereingefallen war. Sie zweifelte, ob sie überhaupt jemals irgend jemandem etwas bedeutet hatte. Manchmal war sie tief traurig. Aß nichts, wollte allein sein. Immer wieder kam es vor, dass sie Xid oder auch ihren Bruder hinauswarf. Doch es kam nicht mehr vor, dass sie die neue Inneneinrichtung zerstörte. Hilfreich war, dass eine Art Sandsack aufgestellt worden war und Akaavi angefangen hatte, Lektionen zur körperlichen Ertüchtigung mit ihr durchzuführen.

Sie hatte kurz nach dem Abflug der Gruppe eine Nachricht von Vela bekommen. Sie schickte Genesungswünsche und teilte mit, dass die Gruppe der Tal-She zu einer neuen Mission aufbrach. Xid hatte mit Jolene gesprochen, wie es ihr damit ging. Jolene hatte nur gesagt, dass die Tal-She ihr gestohlen bleiben konnten und sie keine von ihnen mehr wäre. Dennoch trug sie weiterhin ihr Jer-Zer-Shar, auch wenn es unter ihrer langärmeligen Kleidung kaum zu erkennen war.

Die Gefühlsausbrüche wichen nach einigen Tagen einer Melancholie und Nachdenklichkeit. Corbyn durfte nun häufiger bei ihr sein, was ihrer Laune zuträglich war. Sie wollte keine tiefschürfenden Gespräche mit ihm führen. Sondern sie schauten sich Filme an, spielten Pazaak oder spielten Computerspiele.

Xid hatte mitbekommen, dass Jolene inzwischen Angst hatte, die Zelle zu verlassen. Früher hatte sie sich nie darüber Gedanken gemacht, was andere über sie dachten. Doch nun hatte sie Angst, den Leuten zu begegnen, die im Praxeum lebten und mit denen sie ein recht gutes Verhältnis hatte. Nach wie vor wollte sie niemanden sehen, der nicht sowieso schon bei ihr vorbeischaute. So war weder Ria willkommen, noch gab sie die Erlaubnis, dass Ysanne sie besuchte.

Doch schließlich war der Tag gekommen, an dem sie einen kleinen Ausflug nach draußen machen sollte. Xid, Tionne und Corbyn erwarteten sie in der Schleuse der Zelle. Jolene hatte nach einem Umhang verlangt, damit niemand da draußen ihr Gesicht würde sehen können. Außerdem war es noch so früh am Morgen, dass noch niemand draußen unterwegs sein würde. Und es war abgesprochen, dass sie direkt mit einem Speeder raus in die Natur fliegen würden.

Auf dem Weg nach draußen staunte Jolene nicht schlecht über die Sicherheitsvorkehrungen, die hier unten getroffen worden waren. Rein aus ihrer Gewohnheit heraus und um sich von ihrer Aufregung abzulenken, schaute sie ganz genau auf die Details, die sie von der Freiheit trennten. Automatisch ging sie im Geiste durch, wie sie die Mechanismen außer Kraft setzen könnte, würde sie den Wunsch haben, von hier zu fliehen. Als Corbyn schließlich die Tür ins Freie öffnete, blieb Jolene wie angewurzelt stehen. Es waren nur wenige Schritte hinüber zu dem Speeder, doch ihre Füße waren wie am Boden festgewachsen.

[Anne]

"Da wären wir. Überwältigend, nicht wahr? Lassen Sie sich alle Zeit, die Sie benötigen. Falls Sie es so brauchen, können wir auch die ganze Stunde hier stehen bleiben. Wir machen das in Ihrem Tempo", sagte Xid. "Hören Sie Mal, die Vögel singen."

[goldie]

Hier stehen bleiben und sich vor ihrem Bruder die Blöße geben? Ganz bestimmt nicht!

Jolene zog wortlos die Kapuze tiefer ins Gesicht und schritt entschlossen zum Speeder hinüber. Dort eingestiegen versuchte sie, sich die Erleichterung nicht anmerken zu lassen. Die anderen setzten sich mit nach hinten zu Jolene. Dann startete der Droidenpilot und flog in Richtung der Zielkoordinaten los.

Jolene starrte aus dem Fenster. Ihr kamen die Tränen, als sie die freie Welt da draußen beobachtete. Da sie die Kapuze nicht abgesetzt hatte, würden es die anderen hoffentlich nicht mitbekommen.

[Anne]

Da Xid annahm, dass es Jolene unangenehm wäre, wenn sie nun jeder anstarrte und auf irgendeine Reaktion von ihr wartete, begann er ein bisschen zu plaudern. Er erzählte, dass er in seinem ursprünglichen Zuhause auf Coruscant gar keine Natur kennengelernt hatte und sie deshalb hier besonders schätze. Es war sehr selten, dass er überhaupt Mal etwas von sich erzählte. Falls dieses Thema nicht funktionierte, dann wählte er ein anderes, um wenigstens Tionne in irgendeine Unterhaltung zu verwickeln und die angespannte Stimmung aufzulösen.
Nach kurzer Zeit kamen sie bereits an ihrem Ziel an. Es handelte sich um eine sanfte Hügellandschaft mit einigen Baumgrüppchen und einem Bächlein, das sich fröhlich plätschernd durch die Landschaft schlängelte.
Als alle ausgestiegen waren öffnete sich erstaunlicherweise die Pilotenkabine, wo der Droide gesessen hatte. Doch anscheinend nicht nur dieser.
"Man war das vielleicht eng unter dieser Drecksbank", murrte Ria und klopfte sich etwas Schmutz von der Kleidung. Dann sprang sie lässig aus dem Speeder.
"Was machst du denn hier?", fragte Xid offensichtlich sehr erstaunt.
"Ich wollt' Mal sehen, wo ihr Sauerkirsche hinbringt. Ich hab' nämlich mitgekriegt, dass ihr einen Speeder mit zu ihr gebracht habt und ein bisschen Proviant. Da wollte ich Mal gucken, ob's schon Zeit für die Auswilderung ist. Tag auch, Princess!"
Sie strahlte die Kapuzengestalt an und schien sich keiner Schuld bewusst zu sein.
Dann nickte sie Corbyn zu: "Hey, Momong."

[goldie]

Jolene hatte Xid ignoriert. Tionne war schließlich eingesprungen und hatte leichte Konversation mit Xid betrieben. Wie auch Jolene, so schwieg ihr Bruder.

Jolene hatte die frische Luft eingeatmet, als sie ausgestiegen war und ihren Blick schweifen lassen. Doch als Ria plötzlich ausstieg, wich sie zwei Schritte zurück und ihre Hand ruckte zu der Stelle, wo sonst ihr Blaster war.

Panik stieg in ihr auf, als die ersten Worte gewechselt wurden. "Hau ab!" entfuhr es ihr.

Corbyn schaute zwischen den beiden jungen Frauen hin und her. "Hey, Princess, ganz ruhig. Das ist doch nur Ria", redete er leise auf sie ein.

"Sie soll hier verschwinden!!!!" schrie Jolene ihren Bruder an.

[Anne]

"Wow, okay. Ich freue mich auch dich zu sehen", erwiderte Ria ironisch. "Na ja abhauen kann ich hier wohl schlecht aber wenn's sein muss, kann ich beim Speeder warten während ihr euer Ding macht..."
Sie wirkte merklich enttäuscht. Anscheinend hatte sie sich die Wirkung ihres Auftritts anders ausgemalt.

[goldie]

Jolene drehte sich um und atmete durch. Corbyn sagte ernst zu Ria: "Das solltest du besser tun. Welches verrückte Bantha hat dich nur geritten, auf die hirnrissige Idee zu kommen, dich hier einszuchleichen? Ich hab dir oft genug gesagt, dass sie dich noch nicht sehen will!" Er schaute sie finster an.

[Anne]

"Ist ja gut, tut mir leid...", sagte Ria kleinlaut. Sie setzte sich auf ein Trittbrett außen am Speeder und schaute betreten zu Boden. Xid schaute kurz etwas mitleidig zu ihr, dann wandte er sich an Jolene: "Wollen wir vielleicht eine Runde gehen?"

[goldie]

"In Ordnung." Jolene stapfte los, ohne sich umzusehen. Corbyn warf Xid einen fragenden Blick zu.

[Anne]

"Kommen Sie ruhig mit", sagte Xid zu Corbyn. Eine Weile gingen er, Tionne, Jolene und ihr Bruder durch die Landschaft. Xid lief neben Jolene her und wartete, ob sie etwas sagen würde.

[goldie]

Zuerst lief Jolene zügig, als wolle sie möglichst schnell Abstand zu Ria gewinnen. Schließlich wurde sie langsamer. "Dieses dumme Ding", sagte sie irgendwann. "Es hat schon seinen Grund, dass ich niemanden sehen will. Ihr habt ja gesehen, wie sie auf mich reagiert hat."

"Du meinst, dass sie sich unglaublich darüber gefreut hat, dich zu sehen?" brummte Corbyn.

"Fall mir nicht in den Rücken", fauchte Jolene ihn an.

"Wie lange soll ich dich denn noch mit Samthandschuhen anfassen? Es muss doch jemand auch mal Klartext mit dir reden."

"Weißt du was", knurrte sie. "Von dir lass ich mir den Ausflug nicht verderben. Lass mich gefälligst allein."

Corbyn verdrehte die Augen. "Wie du willst. Ich bin am Speeder, wenn du mich brauchst." Kopfschüttelnd wandte er sich um und ging zurück.

Jolene funkelte nun Xid an: "Und was haben Sie heute für Fragen mitgebracht, um mir den Tag völlig zu ruinieren?"

[Anne]

Xid lächelte unbeirrt. "Die erste Frage lautet: Mögen Sie einen Tee?" Aus seiner Umhängetasche holte er eine metallene Thermoskanne heraus, sowie eine kleine Metalltasse. "Die nächste Frage würde dann lauten, ob Sie sich setzen wollen. Die danach heißt: Mögen Sie vielleicht einen Keks?"

[goldie]

Jolene schaute ihren Therapeuten mit großen Augen an. "Äh... Ja. Klingt nach einem Plan", murmelte sie.

Schließlich saßen die drei auf einem der Hügel, wo man die Umgebung gut im Blick hatte. Jolene nahm einen Schluck Tee und schloss die Augen, um ihn zu genießen. "Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal Tee getrunken habe", seufzte sie und nahm noch einen Schluck.

[Anne]

Xid schien sich zu freuen, dass Jolene sein Angebot annahm. Er hatte eine dünne Decke ausgebreitet und stellte eine Schüssel mit Keksen darauf ab.
"Ich werde Sie auf diesem ersten Ausflug in die Freiheit überhaupt nicht mit Fragen belästigen. Sie dürfen einfach nur genießen und sich entspannen. Falls Sie mögen können wir nachher gerne eine Achtsamkeitsübung zusammen machen. Ansonsten erwarte ich heute nichts von Ihnen."
Xid wollte, dass Jolene die Welt draußen so positiv wie möglich erlebte. Dies würde ihr gut tun und die Motivation steigern, bald wieder in Freiheit zu leben. Für Therapiestunden mit schwierigen Themen und unangenehmen Fragen würde ein andermal noch genug Zeit bleiben - zum Beispiel ob es das Ziel der jungen Frau war, alle Leute, die ihr etwas bedeuteten von sich zu schieben, damit sie sie nicht verlassen und enttäuschen konnten. Das galt es bald zu erörtern.

[goldie]

Die Morgendämmerung hatte die Hügel bereits sanft erhellt. Jetzt ging langsam die Sonne auf.

"Warum nur muss alles mich an ihn erinnern?" fragte Jolene und starrte in die aufgehende Sonne. "Können Sie mir sagen, wann das aufhört?" fügte sie nachdenklich hinzu.