Enric träumt...

[Anne]

Dies würde seine letzte Entscheidung sein. Sie durfte schwer sein, ihn Mühe kosten. Aber eine Unendlichkeit in den Schatten verbringen zu müssen, das schien ihm unerträglich. Verzweifelt versuchte er, das Licht erreichen. Vielleicht würde er dort Koi wieder begegnen, möglicherweise wartete sogar bereits seine Familie auf ihn. Und so setzte er alles daran, sich zum Licht hin zu kämpfen.

[goldie]

Zentimeter für Zentimeter kämpfte sich Enric voran. Er musste all seine Willenskraft aufbringen, um sich unter den großen Schmerzen überhaupt bewegen zu können. Der düstere Schatten war nicht weit entfernt. Auch er versprach ein Ende seines Leidens...

Die Zeit floss zäh wie blaue Milch dahin, während Enric sich vorwärtsschob. Plötzlich tat sich der Boden vor Enric auf. Er konnte hinuntersehen. Auren, schön wie eh und je, saß am Tisch in ihrem Hotelzimmer. In ihren Händen hielt sie einen Holoprojektor, der Enrics Gesicht in Großaufnahme zeigte. Ihr Blick war auf das Holo fixiert. Sie weinte.

Enric realisierte nicht, dass seine Schmerzen in den Hintergrund traten. Es war so, als wären sie nie da gewesen. Licht und Dunkelheit waren für ihn nicht mehr wahrzunehmen. Es gab nur noch Auren...

[Anne]

"Bitte, weine doch nicht. Ich bin doch hier", versuchte er zu sagen, ohne wirklich daran zu glauben, dass sie ihn würde hören können. Warum sie wohl weinte? Vermisste sie ihn lediglich oder hatte sie bereits erfahren, dass er nicht mehr zurück kehren würde? Oder war es doch, weil sie mittlerweile verstanden hatte, dass es ein Fehler gewesen war, für ihn alles aufzugeben? Er versuchte, sich ihr zu nähern.

[goldie]

Im nächsten Moment stand er direkt vor ihr. Auren schaute auf. "Enric, du bist hier?"

Sie schüttelte den Kopf. "Warum hast du es mir verschwiegen?"

[Anne]

Er versuchte vorsichtig, eine Träne von ihrer Wange fortzuwischen. "Was habe ich dir verschwiegen?", fragte er ruhig.

[goldie]

"Du warst bei Jolene. Du hast nie aufgehört, sie zu lieben."

Enric wischte eine Träne fort, doch weitere folgten.

[Anne]

Für einen Moment erwog er, sich zu rechtfertigen. Er hätte Auren einfach erklären können, dass es notwendig gewesen war, Jolene noch einmal klar zu machen, dass es vorbei war. Wenn er ihr versichert hätte, dass Jolene ihn nach diesem Gespräch bis zu ihrem letzten Atemzug hassen würde und dass er sich nun ganz auf das Leben mit ihr besinnen würde, dann bestand vielleicht die Chance, dass sie ihm verzieh. Aber irgendwie fand er, dass das falsch wäre. Deshalb antwortete er schlicht: "Es tut mir leid, Auren."

[goldie]

"Dann haben wir nichts mehr zu besprechen."

Sie stand auf und ging auf die Tür zu.

[Anne]

Wortlos sah er ihr nach. Enric konnte es ihr nicht verübeln, dass sie ihn verließ. Und vielleicht war es sogar besser so.

[goldie]

Auren ging auf die Tür zu und dabei veränderte sich die Szenerie. Die Wände verschwanden, der rote Schleier und Enrics Schmerzen kehrten zurück. Aus der Tür wurde ein dunkles, düsteres Wabern. Auren steuerte direkt darauf zu. In der Ferne war wieder das Licht zu sehen. Es würde ein langer, beschwerlicher Weg dorthin sein. Wenn er denn überhaupt zu schaffen war.

[Anne]

"Auren?", rief er. "Wo gehst du denn hin? Du musst dort entlang." Er lief ihr nach, berührte ihre Schulter und deutete auf das Licht.

[goldie]

Sie blieb stehen und drehte sich zu Enric um. "Nein. Dies ist der richtige Weg. Du hast Jolene zerstört, als du sie belogen hast. Ihr habt keine Zukunft miteinander. Hast du jemals etwas für mich empfunden? Du musst nicht alleine bleiben. Ich bin bereit, dir eine letzte Chance zu geben. Dich auf ewig zu lieben, für dich da zu sein, Jolene zu ersetzen. Begleite mich..."

Sie streckte ihm die Hand hin. Hinter ihr waberte die Dunkelheit und streckte erste finstere Nebelschwaden nach ihr aus.

[Anne]

"Nein, es tut mir leid." Bestürzt beobachtete er, wie die Dunkelheit nach Auren griff. "Auren, ich... ich muss jetzt gehen..." Er glaubte nicht, dass er sie überzeugen könnte, sich nicht von der Finsternis verschlingen zu lassen. Also wandte er sich betrübt ab und bemühte sich weiter, zum Licht zu kommen, so sehr es auch schmerzen mochte.

[goldie]

Enric wandte sich ab, doch das Bild von Auren verschwand nicht. So musste er zusehen, wie mehr und mehr dunkle Wolken sie umhüllten. Sie starrte ihn die ganze Zeit anklagend an, ohne ein Wort zu sagen. Dann war sie fort und die Dunkelheit türmte sich drohend vor Enric auf.

Die Schmerzen seines Todeskampfes waren nun in voller Stärke zurückgekehrt. Mühsam schleppte er sich Schritt für Schritt voran, um irgendwie zum Licht zu gelangen.

Wieder tat sich der Boden vor ihm auf. Dieses Mal sah er Jolene. Sie saß an dem kleinen Wasserfall in den Bergen, zu dem die beiden vor so langer Zeit zusammen hingewandert waren. Sie schaute nach oben, ohne Enric zu sehen, und ließ sich die Sonne aufs Gesicht scheinen. Sie lächelte und wirkte frei von allen Sorgen.

[Anne]

Enric sprach sie nicht an. Sie war glücklich. Und das war es, was er sich für sie wünschte. Wenigstens du, meine Liebe. Ich wusste, dass es dir ohne mich besser gehen wird, dachte er betrübt. Er hielt einfach nur inne, um Jolene einen Moment lang so zufrieden zu sehen.