Wo liegt die Wahrheit?

[Anne]

"Aha, sehr eindrucksvoll dieses Schauspiel. Allerdings denke ich, es genügt jetzt", fand Enric. Er ging auf Auren zu und griff nach der Spritze, in der Absicht, sie ihr aus der Hand zu nehmen. Dann würden sie ihn nicht länger ignorieren können.

[goldie]

Enric griff nach der Spritze. Doch seine Hand ging durch sie hindurch, als handelte es sich bei Auren um ein Hologramm. Doch auf den zweiten Blick stellte er fest, dass nicht sie substanzlos war, sondern er.

Auren schien nicht das geringste bemerkt zu haben. Sie setzte Jolene die Spritze in den Oberarm. "Gut", stellte sie fest. "Gleich geht es los."

Von Jolene war ein leises Stöhnen zu hören. Ihre Augen flatterten. Ein kurzer Blick auf den Bildschirm verriet Enric, dass die Aufschläge der Kurve etwas keiner, doch immer noch sehr hoch waren.

[Anne]

"Was... was bedeutet das?" Irritiert schaute Enric sich um. Er hatte gedacht, dass die anderen ihm nur vorspielten, dass er - wie in Jolenes Wahn - nur eine Erscheinung in ihrem Kopf war. Er hatte durchaus verstanden, dass dieses ganze Scenario dazu passte, dass alles genau so war, wie Jolene geglaubt hatte, als sie verrückt gewesen war. Oder war sie gar nicht verrückt und in diesen Momenten in Wirklichkeit klar im Kopf gewesen, als sie ihm von all dem erzählt hatte? Nein, das war doch nicht möglich! Er war doch eine richtige Person, die außerhalb von Jolenes Gedanken existierte. Um es sich selbst zu beweisen, versuchte er, sich an seine Vergangenheit zu erinnern, an all die Dinge, die er ohne Jolene getan hatte. Er war doch ein eigenständiges fühlendes, denkendes Wesen! Oder nicht...?

[goldie]

Da waren eindeutig die jüngsten Ereignisse mit Auren. Noch deutlich konnte er sich an die intimen Stunden mit ihr erinnern und wie er sie mithilfe der Macht sehr glücklich hatte machen können. Dann fiel ihm ein Gespräch mit Jolene ein, in dem sie eindrücklich ihre Ängste geschildert hatte, dass er noch immer etwas für seine gerade wieder aufgetauchte Ex empfand, dass seine Gefühle für sie wieder aufflammen würden und dass er sie mit seinen Machtfähigkeiten im Sturm zurück erobern würde. Er erinnerte sich an die große Liebe zu seiner Mutter, doch konnte kein Bild vor seinen inneren Auge von ihr erzeugen. Einzig die Gespräche, in denen er Jolene von ihr erzählt hatten, waren ihm präsent. Er kramte in seinem Gedächtnis und mehr und mehr Erinnerungen kamen zutage. Alle von ihnen waren gemeinsame Erlebnisse mit Jolene.

Jolene öffnete plötzlich die Augen. Sie starrte Enric an. "Er ist hier", krächzte sie heiser.

[Anne]

Es war, als würde man ihm den Boden unter den Füßen wegziehen. Das konnte doch nicht sein! Es durfte nicht sein...
All die Konsequenzen seiner jüngsten Erkenntnis trafen Enric mit einem Mal: Er war eine Einbildung. Er hielt Jolene davon ab, gesund zu sein. Und: er würde vermutlich verschwinden, sobald diese Spritze ihre vollständige Wirkung erzielt hatte.
Als Jolene sprach, wandte er sich ihr zu, trat zu ihr und ergriff erneut ihre Hand.
"Jolene, meine Liebe... Ich habe nicht mehr viel Zeit. Hör mir zu: Ich möchte, dass es dir besser geht. Du sollst ein Leben haben. Ein echtes Leben, nicht das was wir hatten. Ich danke dir für alles. Du brauchst mich jetzt nicht mehr. Werde gesund und glücklich. Versprichst du mir das?"

[goldie]

Jolene versuchte erschrocken, ihre Hand wegzuziehen, doch die Metallfesseln hinderten sie daran. Im Gegensatz zu Auren war Jolene für Enric stofflich und deutlich spürbar.

Panisch schaute Jolene zu Xid: "Er fasst mich an!"

Der Therapeut antwortete: "Ganz ruhig. Wir wissen, dass er hier ist. Sie haben schon so viel geschafft. Die Schmerztherapie durch ihre Stiefmutter, die Fastentherapie, die Elektroschocktherapie... Jedes Mal sind wir ein Stück weiter gekommen. Erinnern Sie sich, wie Sie letztes Mal erkannt haben, dass Enric nicht Neil sein kann? Diese tiefen Verletzungen, die er Ihnen in jener Nacht zugefügt hat, waren noch viel schwerwiegender als die Verbrennungen durch den Schockstab. Doch beides war nötig, um Ihnen die Augen zu öffnen. Jetzt ist es so weit. Sie können dem jetzt ein Ende setzen."

Er lächelte ihr aufmunternd zu und drückte einen Knopf. Die Fesseln sprangen auf. Sofort zog Jolene ihre Hand zurück. Enric sah die Angst in ihren Augen. Er bemerkte, wie sie sich auf ihren Atem fokussierte.

[Anne]

"Wie bitte?" Irritiert und betroffen schaute Enric zwischen Xid und Jolene hin und her. Als er merkte, dass sie Angst vor ihm hatte, ging er ein paar Schritte zurück.
"Was bedeutet das alles? Du hast dich freiwillig von deiner Stiefmutter quälen lassen und bist absichtlich so abgemagert? Sie haben dir Elektroschocks verpasst? Was soll das denn bitte für eine Behandlung sein? Und was habe ich dir getan, dass du mich so sehr fürchtest?"

[goldie]

Jolene richtete sich mühsam auf. Auren half ihr dabei. Dann stand Jolene langsam auf, bis sie auf wackeligen Füßen stand. Noch immer wurde sie von ihrer Ärztin gestützt.

Jolene lachte trocken. "Nein, die ersten Therapiesitzungen waren nicht freiwillig. Sie haben mir aber aufgezeigt, wie verrückt ich bin. Immer wieder bist du aufgetaucht und hast mein echtes Leben durcheinander gebracht. Ich hätte Vater so stolz machen können. Doch wegen dir konnte er mich nicht verheiraten und ein Bündnis mit einem der mächtigsten Männer des Planeten schmieden. Du hast mir die ganze Zeit vorgegaukelt, dass wir in einer spannenden Welt leben. Dass wir Helden sind, die die Galaxis retten. Dass du mich liebst." Sie schüttelte den Kopf. "Warum hast du mir das angetan? Du hast mein Leben zerstört!" Tränen füllten ihre Augen.

[Anne]

"Entschuldige Mal, aber da es sich so eben herausgestellt hat, dass ich eine Einbildung von dir bin, hast du dir das wohl eher selbst angetan..." Trotzig verschränkte er seine Arme.
"Deinen Vater stolz machen, pfff... Dass ich nicht lache - du meinst deinen Oberbösewicht von Vater, der diesen Neil umgebracht hat? Der, der dich zu seinem eigenen Vorteil an irgendeinen Kerl verschachern wollte!?"

[goldie]

"Da, du tust es schon wieder! Du verurteilst meinen Vater und all die großen Errungenschaften unserer Familie. Neil wollte mir meine Unschuld rauben. Ich bin froh, dass Vater dem ein Ende gesetzt hat! Er ist derjenige, der wirklich klar sieht. Er hat wahre Größe. Und nicht dieser Möchtegern Jedi, der da vor mir steht. Was hast du überhaupt erreicht in deinem Leben? Kein Doktortitel, kein Jedi und als Tal-She haben wir dich auch immer nur wie ein Klotz am Bein mitgeschleppt!"

Sie funkelte ihn wütend an.

"Miss Silverdust", war nun Xids sanfte Stimme zu hören. "Besinnen Sie sich darauf, was wir besprochen haben."

[Anne]

Zuerst wollte Enric ihr eine aufgebrachte Erwiderung an den Kopf werfen. Dann wurde ihm klar - wenn er sie überzeugte, verlor sie ihr Leben, so wie sie es haben wollte. Wenn er sie in dem Glauben ließ, konnte Jolene frei sein und so leben, wie sie es für richtig hielt. Er hatte es selbst gesagt: Jolene brauchte ihn nicht mehr. Er war nichts eine überflüssige Idee geworden und es war besser für sie, wenn sie sich der Welt anpasste, in der sie nun offenbar bleiben wollte - ohne ihn. Enric selbst hing nicht am Leben, da er ja offensichtlich nie eines besessen hatte.
Er nahm sein Lichtschwert vom Gürtel und hielt es Jolene hin.
"Weißt du was? Du hast Recht. Gut, dass du das nun alles eingesehen hast. Ich würde denken, dies ist nun die Zeit, um es zu beenden. Leb wohl. Ich wünsche dir mit deiner Familie und deiner zukünftigen Ehe viel Glück und alles Gute. Und falls du noch einmal eine solche Krise erleiden solltest, denk dir das nächste Mal einen erfolgreicheren Fantasiefreund aus."

[goldie]

Jolene nahm das Lichtschwert entgegen.

"Er will, dass ich ihn töte", sagte sie, ohne den Blick von Enric zu lösen.

Xid antwortete: "Setzen Sie dem ganzen jetzt ein Ende. Denken Sie daran, nur so wird Ihr Vater Ihnen noch eine Chance geben."

Jolenes Gesichtszüge verhärteten sich. Sie entzündete das Lichtschwert. Dann deutete sie mit einem knappen Wink auf die Liege. "Da rauf. Na los!"

[Anne]

"Wie darf ich es dir denn so angenehm wie möglich machen? Soll ich mich hinsetzen? Oder lieber liegen? Könntest du es nur bitte recht zügig hinter uns bringen? Ich bin nämlich ziemlich sicher, dass ich Schmerzen spüren kann", sagte er grimmig und trat auf die Liege zu.
"Leben Sie wohl Xid, auch wenn Sie mich nicht hören können. Hoffentlich gibt Mr Silverdust Ihnen das großzügige Honorar, welches Ihnen nach der Anwendung so experimenteller Behandlungsmethoden zusteht. Und dir Auren ebenfalls noch ein schönes Leben. Auch wenn wir in Wahrheit nie eine Nacht zusammen verbracht haben, bin ich Jolene doch dankbar, dass sie es sich so detailgetreu ausgemalt hat."

[goldie]

"Hinlegen!" befahl Jolene. Die anderen beiden reagierten nicht auf ihn.

[Anne]

Enric befolgte Jolenes Befehl und streckte sich auf der Liege aus. In Wahrheit hatte er schon Angst, aber immerhin würde es ja bald vorbei sein. Er schloss die Augen, um nicht sehen zu müssen, wie die Liebe seines Lebens ihn hasserfüllt abstechen würde.