Ein neuer Anfang

[goldie]

"Sie denken doch alle, dass ich wahnsinnig bin. Oder, wie Sie, dass ich bei erstbester Gelegenheit abhaue und Horrain umbringe. Ich bin niemandem da draußen wichtig, niemand interessiert wirklich, wie es mir geht. Lieber zerreißen sie sich die Mäuler und denken sich irgendwelchen Banthamist über mich aus. Außer Corbyn natürlich. Der ist der einzige, der wirklich zu mir hält. Gut, Tionne du meinetwegen auch. Ja, auch Akaavi... Aber selbst Sie Doc. Wenn Sie nicht so gut dafür bezahlt werden würden, würden Sie sich doch überhaupt nicht mit mir abgeben."

[Anne]

"Wieso denken Sie das?", fragte Xid ruhig.

[goldie]

"Ich habe Sie zweimal bedroht und einmal fast umgebracht. Sie haben keinerlei Garantie, dass sowas nicht nochmal passiert. Sie verbringen täglich stundenlang in diesem finsteren Loch. Warum sonst tun Sie sich das an?"

[Anne]

"Ich bin nicht nachtragend, was die Vorfälle mir gegenüber angeht. Ich glaube sogar, dass Sie genauso sehr wie ich wollen, dass es nicht wieder soweit kommt. Dafür, dass Sie und ich sehr viel Zeit in diesem trostlosen Gebäude verbringen, können Sie genauso wenig etwas wie ich. Deshalb hoffe ich, dass Sie deshalb auch nicht böse auf mich sind. Manchmal habe ich den Eindruck, Sie werfen mir Ihre derzeitigen Wohnumstände vor. Vermutlich sind wir beide froh, wenn das vorbei ist. Dennoch haben Sie natürlich Recht, dass unser Verhältnis im Moment ein professionelles ist und ich Sie deshalb täglich aufsuche. Es ist für unsere Therapie unerheblich, ob ich Sie privat treffen würde oder nicht. Dennoch, falls Sie sich damit besser fühlen: Ich halte sehr viel von Ihnen und ich mag Sie. Und wenn Sie es wünschen, können Sie, sobald Sie austherapiert sind, auf einen Tee bei mir Zuhause vorbeikommen."
Xid glaubte nicht wirklich daran, dass Jolene privat viel mit ihm anfangen könnte. Er war etwa fünfzehn Jahre älter als sie, er ging eigentlich nur ruhigen Beschäftigungen nach und hatte seiner Meinung nach nichts Interessantes zu erzählen, denn über seine Arbeit sprach er grundsätzlich nicht mit Freunden oder Bekannten.
"Wie kommen Sie zu Ihren Annahmen bezüglich der anderen Bewohner des Praxeums? Ich kann Ihnen über den Wahrheitsgehalt Ihrer Befürchtungen nur wenig sagen. Ich bekomme im Moment nicht viel mit. Tionne, vielleicht können Sie Jolene ja etwas dazu sagen, ob es stimmt, was sie vorhin vermutet hat?"

[goldie]

Jolene nahm einen Schluck Tee und schaute auf die Landschaft. Fast geistesabwesend antwortete sie: "Nein, ich mache Ihnen nichts zum Vorwurf. Ich weiß, dass es nicht Ihre Schuld ist. Und es fällt mir ja auch wirklich schwer, anderen Leute zu begegnen." Sie atmete durch. "Es fällt mir nur schwer, all diese Dinge zu akzeptieren, die Sie behaupten. Dass es 'nur' eine Krankheit ist und ich nichts dafür kann. Dass Sie was von mir halten. Dass die Leute im Praxeum sich nicht das Maul über mich zerreißen. Dass Ysanne sich dazu entschließen wird, mich jemals rauszulassen, nach alldem, was ich getan habe. Vor allem, nachdem ich entschieden habe, dass ich keine Jedi werden will..." Jolene seufzte.

Tionne lächelte Jolene mitfühlend an. "Vielleicht werde ich dir deine Sorgen nicht nehmen können. Ich möchte dir dennoch von meiner Sicht auf die Situation erzählen. Ysanne weiß nicht, dass du keine Jedi werden willst. Sie weiß nichts von den Inhalten deiner Therapie. Sie erkundet sich regelmäßig danach, wie es dir geht und möchte wie wir alle, dass es dir bald besser geht und dass du wieder ein ganz normales Leben führen kannst. Meiner Einschätzung nach wird sie dir nichts zum Vorwurf machen. Wenn du dich dazu bereit fühlst, sprichst du am besten mit ihr persönlich. Ich glaube, dass du dadurch Gewissheit erlangen kannst und sie dir einige deiner Sorgen nehmen kann."

Tionne lächelte Jolene an.

"Und was die anderen Bewohner des Praxeums betrifft: Sie wissen, dass du psychisch krank bist und deine Zeit brauchst. Einige der jüngeren Schüler sind sehr neugierig, wie du bei Ria siehst. Es gab auch einige Gerüchte. Es hat sehr schnell die Runde gemacht, dass Enric dich verlassen und eine neue Freundin hat. Manche waren der Meinung, dass du etwas angestellt hast und wir dich deshalb einsperren. Doch die meisten können sich ein ganz gutes Bild davon machen, was los ist. Die Leute hier wollen dich unterstützen. Ich kann mir vorstellen, dass einige auch unsicher sein werden, wenn sie dir begegnen. Weil es auch für sie eine ungewohnte Situation ist. Ich bin mir ganz sicher, dass du gut zurechtkommen wirst, sobald du deine ersten Schritte da draußen machst. Die Leute sind dir gegenüber positiv eingestellt. Du bestimmst selbst dein Tempo und alles wird sich fügen."

[goldie]

Jolene atmete durch und wandte sich an ihren Therapeuten. "Glauben Sie, dass ich schon bereit bin, mit Ria zu sprechen?"

[Anne]

"Die Leute im Praxeum kennen allerdings nicht Ihre Diagnosen und sie wissen auch nicht, was der Auslöser für Ihre Unterbringung war. Und ja, manche sind wohl neugierig einfach nur um der Neugier selbst Willen. Aber bei Ria vermute ich ehrliche Anteilnahme und Zuneigung für Sie als Motivation für ihr Handeln. Das ist auch nicht leicht für sie. Niemand sagt ihr etwas und Sie wollten sie bisher nicht treffen. Sie schulden ihr dahingehend natürlich nichts und sind zu nichts verpflichtet. Aber vielleicht hören Sie Mal in sich hinein, wie Sie ihr gleich begegnen wollen, wenn wir zurück zum Speeder gehen. Ich kann Ihnen nicht sagen, ob Sie bereit sind. Das können allein Sie. Lassen Sie uns noch eine Übung machen und dann können Sie sich in Ruhe überlegen, wie Sie sich entschieden haben, in Ordnung?"

[goldie]

Jolene nickte. "In Ordnung."

[Anne]

Xid und Jolene führten eine Übung durch, bei der sie sich ganz bewusst auf das Wahrnehmen ihrer Umgebung konzentrieren sollte. Nacheinander sprach Xid die einzelnen Sinne an, fragte, was seine Patientin sah, hörte und spürte ohne eine Antwort zu erwarten. Er ging davon aus, dass dies nach der langen Zeit in dieser sehr reizarmen Zelle durchaus eine Herausforderung für die junge Frau darstellen könnte. Dennoch fand er es förderlich, um sie an die Welt draußen zu gewöhnen und ihr einen ruhigen Moment zu verschaffen.

Ria hatte derweil am Speeder gewartet. Als die kleine Gruppe außer Sicht war, hatte sie angefangen kleine Stöcker, Nüsse und Steine ärgerlich in die Landschaft zu kicken. Innerlich verfluchte sie sich dafür, überhaupt hergekommen zu sein. Sie war wütend auf Jolene, auf ihren Bruder, weil er sie vorhin so angefahren hatte, aber am meisten auf sich selbst. Früher hätte sie an dieser Stelle irgendetwas mit der Macht umhergeschmissen. Inzwischen war sie aber Jedi genug, um so etwas nicht mehr zu machen.
Mit einem kleinen wütenden Aufschrei schoss sie mit aller Kraft einen Stein in die Ebene.

[goldie]

"Hey, du musst mich ja nicht gleich umbringen", murrte Corbyn, auch wenn der Stein ihn um einige Meter verfehlt hatte. "Nimm's ihr nicht übel. Das macht sie mit mir auch ständig. Ist Teil ihrer Krankheit." Er kam näher.

[Anne]

"Was machst du denn hier? Hat die olle Hexe dich jetzt auch verjagt?", fragte Ria missmutig.

[goldie]

"Ich sag's ja. Sie macht das mit mir auch immer wieder. Schmeißt mich raus, will mich gar nicht erst sehen, schickt mich zurück - übrigens, weil ich Partei für dich ergriffen habe."

Corbyn wirkte recht gelassen. Ihm schien dir Zurückweisung seiner Schwester nichts auszumachen.

"Sie glaubt, dass sich alle gegen sie verschworen haben. Gib ihr einfach noch die Zeit, bis sie sich wieder einkriegt."

[Anne]

"Na gut... dann danke, oder so..." Ria ließ sich ins Gras plumpsen. "Was soll das überhaupt werden? Warum habt ihr Jolene hierher gebracht? Als ich mitgekriegt habe, dass ihr mit ihr irgendwohin wollt, hatte ich schon Angst ihr schiebt sie jetzt irgendwohin ab, weil's euch hier zu viel wird mit ihr."

[goldie]

Corbyn huschte ein Lächeln übers Gesicht. Als es verschwunden war, konnte Ria erkennen, dass Corbyn erschöpft wirkte.

"Mit dem Auswildern hattest du gar nicht so Unrecht. Sie soll langsam an 'draußen' gewöhnt werden. Und da sie, wie du ja selbst gesehen hast, mit anderen Leuten noch nicht zurechtkommt, wollte Duan erstmal hier draußen anfangen. Du schuldest mir übrigens was. Du hast mich gerade um ein Picknick mit meiner Schwester gebracht."

[Anne]

Ria lächelte schief. Normalerweise hätte sie eine solche Forderung direkt abgeschmettert, aber Corbyn sah so erschöpft aus und hatte es im Moment nicht leicht. Sie hatte Mitgefühl mit ihm.
"Was willst du denn haben? Aber lehn dich nicht zu weit aus dem Speeder. Ein Picknick mit dem roten Reek hätte eh keinen Spaß gemacht und euer Proviant sah mir jetzt auch nicht nach einem Festmahl aus..."